Die Choreografie verschiebt Perspektiven, die filmische Transformation akzentuiert die Verschiebung

3 Filme von Mara Mattuschka mit Chris Haring

Brigitta Burger-Utzer (Wien)

 

 

 

 

Im Zentrum meiner folgenden Darstellung stehen Charakteristika der Filme von Mara Mattuschka, die in Kooperationen mit Chris Haring und liquid loft entstanden sind, und die Frage, in welcher Weise sie zur Transformation der Bühnenperformances beitragen.

liquid loft - so heißt es in deren Selbstdarstellung ...

„misstraut jedem Eindruck von Natürlichkeit auf einer Bühne und fragt vielmehr nach den kulturellen Einschreibungen und choreografischen Mitteln, die diesen Eindruck hervorrufen. (...)Die Choreografie verschiebt Perspektiven, isoliert gestische und auch sprachliche Muster aus gewohnten Zusammenhängen und versucht den fremden Blick auf den Körper in seine Bewegung zu integrieren. Zentral ist hierbei das Verfahren einer akustischen Dislozierung.

Diese akustischen Environments[1] schaffen neue Denk- und Bewegungsräume für den Tanz. Sie verschieben und verändern das individuelle Klangumfeld, trennen die Stimme vom Körper, geben sie verfremdet zurück und erlauben den Tänzern/innen neue, überraschende Möglichkeiten der Rekombination ihrer Ausgangselemente." [2]

Sowohl auf der Bühne als auch für die Kamera agieren die Performer/innen also im Playback zu bereits zuvor konzipierter und aufgezeichneter Soundebene. Es gibt keine live gesprochenen Sätze, Laute, Schreie oder anderen Töne. Auf die wenigen Ausnahmen in den Filmen komme ich später zu sprechen.

Abb.: Legal Errorist. Ein Film von Mara Mattuschka und
Chris Haring (AT 2005, 15 Min.)

 

Die Bühnenshows dauern in der Regel etwa eine Stunde, Legal Errorist (die erste Kollaboration von Mara Mattuschka und Chris Haring 2005) nur 15 Minuten, Running Sushi (2008) und Burning Palace (2009) rund 30 Minuten. Eine Dokumentation der Tanz-Perfomances, die in der gängigen Ausformung in einer Totalen und in einem Take oder mit mehreren Kameras auf der Bühne gefilmt wird, stand nie zur Diskussion. Vielmehr versuchte Mattuschka mit dem Medium Film Verknüpfungen von Bild-, Sound- und Körperchoreografien zu entwickeln, die die Qualitäten der jeweiligen Dramaturgien akzentuierten. Zur Übersetzung der Livedarbietung in die andere Kunstform der Kinematografie sagte die Künstlerin in einem Interview:

„Im Theater schaust du praktisch ausschließlich von vorne auf den Raum und die Darsteller/innen befinden sich auch nur vor dir, sind aber gleichzeitig körperlich spürbar. Diese Sinnlichkeit muss im Film auf einem anderen Weg erreicht werden. Weil man auf einiges verzichten muss, muss man im Gegenzug auch etwas dazu nehmen, damit es lebendig und sinnlich bleibt. Ich versuche die Quintessenz eines jeden Stückes zu erfassen und gebe sie in einem anderen Kontext neu wieder.“ (Mattuschka 2009,  29)

 

I.

Mara Mattuschka wurde in Sofia geboren und kam mit 15 Jahren nach Wien, wo sie sich, ihrer bulgarischen Muttersprache beraubt, vom Schreiben von Geschichten und Gedichten mehr und mehr der Malerei und dem Film zuwandte. Sie studierte zuerst Ethnologie und Sprachwissenschaft an der Universität Wien und danach an der Hochschule für angewandte Kunst Malerei und experimentellen Animationsfilm bei Maria Lassnig, ihrem großen Vorbild an Konzentration und handwerklicher Präzision. Neben ihrer filmischen Arbeit trat sie auf Theaterbühnen als Performancekünstlerin, Schauspielerin und Sängerin auf und widmete sich immer auch ihrer Malerei. In allen Medien spielt für sie das eigene Unbewusste und das Körperliche eine besondere Rolle. Für ihre Filmarbeiten in den 1980er und 1990er Jahren fungierte sie mit wenigen Ausnahmen als Performerin, Kamerafrau, Schnittmeisterin, Ausstatterin, Animationskünstlerin und Regisseurin, für komplexere Szenerien (vor allem seit sie mit dem Medium Video arbeitet) gab sie zumindest die Kameraarbeit ab.

 

Sie kreierte die Kunstfigur und Protagonistin ihrer Performancefilme Mimi Minus als alter Ego, um eine Unterscheidung zwischen der Frau vor und hinter der Kamera zu ermöglichen.

„Inspiriert von Alltäglichem, Kleinem und minimalen menschlichen Gesten, praktiziert Mara Mattuschka fröhlich-anarchisches Handeln und respektloses Betreten. Durch ausgelassene Kreativität, mit weit ausholendem Gestus, in Überhöhung und Übertreibung, erfolgt die Aufhebung der Distanz. Dies geschieht durch extreme Close-Ups, Aus- und Untersichten auf den Körper und dessen Details. In der Exzentrik der Charaktere, und auch durch direkten Blick in die Kamera, finden Grenzaufhebungen statt. Mimi Minus ist Meisterin in Übertreibung, Exzentrik und exzessiver Körperlichkeit.“ (Liebhardt / Braidt 2009, 180)

Wenn M.M. für die Kamera posiert, dann verhält sie sich wie vor einem Spiegel: ständig im Bewusstsein, sich zu präsentieren. Neugierig und lustvoll zugleich sieht sie nicht nur in die Linse und dabei auf sich selbst. Sie erfreut sich auch daran, den eigenen Körper als Schau-Objekt mit grotesken Zügen zu betrachten, mit dem Zuschauer zu kokettieren, Grimassen zu schneiden, sich vor der Kamera zu verkleiden, sich zu 'verschminken', die Augen aufzureißen und Körperteile zu verzerren. Sie tritt mit immer neuen Identitäten und Maskeraden auf, inszeniert sich selbst in Hässlichkeit als Appell zur Aufmerksamkeit.

 

Bis 2003 sind ihre 16mm-Filme immer in schwarz-weiß gedreht und zumeist im Realtrick-Verfahren realisiert. Mit dem Digitalvideo kommen sowohl die Farbe als auch der Computer als Hilfe beim Schneiden und für neue visuelle Effekte hinzu.

Seit 2004 arbeitet sie mit Chris Haring zusammen. Die Performancestücke der liquid loft -Truppe bieten Mara Mattuschka wesensverwandte Vorlagen, in die sie ihre in früheren Arbeiten erprobten filmischen Ausdrucksmittel einschreiben und zu einer Verdichtung und Abstraktion beitragen kann. Der Zeitpunkt des Zusammentreffens der beiden war günstig, da Mattuschka ohnehin der Animation überdrüssig wurde. In ihren eigenen Arbeiten wurden sowohl durch die Detailaufnahmen als auch durch Einzelbildmontage die Abläufe ihrer Performances zerhackt und fragmentiert, manchmal wiederholend aneinandergereiht. Die körperliche Perfektion der Bewegungsabläufe, aber auch der Mimik der Tänzer/innen macht die Technik der Animation nun zumeist unnötig. Mattuschka selbst meinte dazu: „Die Darsteller/innen machen Animation, der Sound ist animiert. Die Animation steckt in der Form.“ (Mattuschka 2009, 30)

Dennoch sind bestimmte Elemente des filmischen Universums von Mattuschka unverkennbar in diesen Kooperationen weiterhin vorhanden:

  • die mitunter extremen Positionen der Kamera im Blick auf den Raum oder die Protagonisten/innen von extrem oben oder unten, die die Perspektiven der Wände und des Inventars verschieben und die Physiognomie der Körper und Gesichter verrenken, entstellen und mitunter persiflieren;
  • der Einsatz von starken Weitwinkelobjektiven mit ebensolchen oder ähnlichen Effekten. Bisweilen verwendet sie sogar ein sogenanntes Fischauge als Objektiv, das die Krümmung von Oberflächen und Geraden erzeugt;
  • das Spiel mit Licht und Dunkel, um Akzente zu setzen oder im Schwarz eine Szene ausklingen zu lassen;
  • und schließlich die Großaufnahmen (oft in Verbindung mit einem Weitwinkelobjektiv) der Gesichter oder eines Ausschnitts davon, die die Präsenz der Kamera als Aufnahmeapparatur bewusst machen.

Die Protagonisten/innen interagieren sichtlich mit der Kamera und können zugunsten einer Inszenierung des Selbst das übliche Verhältnis von Subjekt und Objekt aufheben oder zumindest mit definieren. Die Körperbewegungen der Performer/innen von liquid loft haben einen mechanischen Charakter und sind den Repetitionen der Ästhetik der zerhackten Bewegungen der Mimi Minus im Film – durch die Montage von Einzelbildern –  ähnlich. Jegliche Überhöhung der Körper wird vermieden, um das Instinktive, Serielle und Naive der menschlichen Emotionen und deren körperlichen Reaktionen herauszuarbeiten. Zusammenfassend kann man sowohl in der Choreografie als auch in der filmischen Transformation eine Fortsetzung des Expressionismus mit gestischer und stilistischer Überzeichnung feststellen.

 

II.

Legal Errorist ist als Solo für die kanadische Tänzerin Stephanie Cumming konzipiert und inspiriert von den Cyborgs, den Maschinenmenschen des Science Fiction Genres. Der legal Errorist ist ein Wesen, dessen Software andauernd abstürzt, und das dann nach kurzen Phasen der Verwirrtheit plötzlich ein neues Register zieht. Am Beginn des Films schält sich aus der Unschärfe ein elliptischer Lichtkreis heraus und ein Bündel von Gliedmaßen stammelt und bewegt sich, als müsse es sich erst zu einer Einheit zusammensetzen. Durch das extreme Weitwinkel-Objektiv wirkt der Raum mit seinem Lichtkreis im Schwarz mitunter wie eine Kugel und erinnert an einen kleinen Planeten, wo sich dieses Wesen alleine aufhält und immer wieder selbst neu programmiert. Aufgrund der Nähe der Kamera zur Performerin sind in diesem Film Geräusche des Körpers, wie etwa das Blubbern der Gedärme im Bauch, durch das Kameramikrophon aufgenommen, in den Film eingeflossen - etwas, das in der Bühnenperformance nicht zu hören war. Filmisch brillant gelöst ist die Schlusssequenz von Legal Errorist, in der Stephanie Cumming plötzlich, mit einem aggressiven „What?“ eingeleitet, eine direkte Kommunikation mit den Zusehern/innen oder der Kamera beginnt. Nun zeigt sie sich uns, reckt sich uns in aufschäumender Wut entgegen und die verzerrten Nahaufnahmen und schnellen Schnitte unterstreichen die Perversion des voyeuristischen Blicks, machen die Ausgestellte zum hysterischen Monstrum, das zum Kampf bereit ist. „Can you see me??“ fragt sie provokativ bis zum Ende, das sie selbst setzt, indem sie ins Dunkel weggeht.

 

Abb.: Running Sushi. Ein Film von Mara Mattuschka und
Chris Haring (AT 2008, 28 Min.)

 

Ein Paar trifft sich in einem Running Sushi-Lokal im gleichnamigen Film, rasch wechselt die Szene zu einer unscharfen Parallelwelt, einer Art Paradies mit künstlichem Rasen und den beiden, von oben beobachteten, nackten Bewohnern/innen: Adam und Eva im Heute, inspiriert von japanischen Comics, den Mangas. Mit einem Zitat von Anna Freud, der Performerin Stephanie Cumming in den Mund gelegt, beginnt der Film: „Wie sollen wir uns diese Diskrepanz zwischen der Einstellung des Menschen zum Innenleben und zur Außenwelt erklären? Warum wird sie in solcher Schärfe ausgebildet? Was sind die Gründe dafür?“ Und schon beginnt in der Parallelwelt der Kampf der Geschlechter, sie catchen zum Sound von Computerspielen und sie kämpfen einzeln wie in KungFu-Filmen. Im Restaurant hingegen wird Konversation gemacht: Frau und Mann wirken dabei eher mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt als mit dem Gesprächspartner. Mara Mattuschka und ihr Kameramann Sepp Nermuth haben für Running Sushi einen virtuellen Raum in einer 3D-Konstruktion geschaffen, der erlaubt, den Hintergrund des geschlossenen Raums beliebig zu variieren, die Wände zu kippen und zu verschieben, um eine klaustrophobische Atmosphäre zu kreieren. Die beiden Menschlein führen unterschiedliche neurotische und begehrliche Rollen vor: kindliche Verhaltensmuster, Konkurrenzverhalten, Minderwertigkeitsgefühle, Aggression, Narzissmus, Angstzustände, sinnliche Lust. Am Ende löst sich im künstlichen Paradies die Beziehung in zartes Wohlgefallen und in ein Lied auf, das dann aber doch jeder lieber für sich und die Zuseher präsentiert als füreinander.

 

Für Burning Palace hat Mattuschka wiederum einen speziellen Drehort ausgesucht, ein schwülstiges, düster wirkendes Hotel das für das Thema des Stücks „Körper und Eros“ – ursprünglich für die Biennale in Venedig konzipiert und dort ausgezeichnet – einen kongenialen Agitationsraum bietet. Fünf Personen, drei Frauen und zwei Männer, spielen und posieren in erotischen Handlungen und Sehnsüchten in allen möglichen Gruppierungen. Ein expressiv groteskes, in sich geschlossen wirkendes Universum des theatralischen Treibens entsteht. Es beginnt mit einem Schattenspiel, das auf sexuelle Handlungen schließen lässt, die noch in der Unterbrechung der Szene als Fake entlarvt werden. Alles ist Pose und keine und keiner entkommt der narzisstischen Eitelkeit, dem Mangel an Befriedigung und der Verlorenheit danach, wenn eine erotische Handlung deutlich simuliert stattgefunden hat. Die Filmemacherin hat mit ihrer Nähe zu den Körpern und Gesichtern eine Intensität in der Vermittlung des exaltierten Ausdrucks und der Mimik der Performer/innen geschaffen, die tatsächlich mit der Energieform des Brennens vergleichbar ist.

 

Abb.: Burning Palace. Ein Film von Mara Mattuschka und
Chris Haring (AT 2009, 32 Min.)

 



[1] Diese akustischen Environments werden immer vom Musiker/Komponisten Andreas Berger aka glim in Zusammenarbeit mit liquid loft komponiert.
[2] Siehe http://www.liquidloft.at/article18.htm, 6.11.2016.

 

Filme
Legal Errorist. Ein Film von Mara Mattuschka und Chris Haring (AT 2005, 15 Min.)
Running Sushi. Ein Film von Mara Mattuschka und Chris Haring (AT 2008, 28 Min.)
Burning Palace. Ein Film von Mara Mattuschka und Chris Haring (AT 2009, 32 Min.)

 

Literatur
Mara Mattuschka / Chris Haring im Gespräch mit Dietmar Schwärzler. In: kolik. film. Zeitschrift Wien, Nr. 11, März 2009, 29 - 31.
Barbara Liebhardt / Andrea B. Braidt: Logik der bewussten Unschuld. Die Filmemacherin Mara Mattuschka. In: Diagonale – Forum österreichischer Film (Hg). Diagonale. Festival des österreichischen Films. Katalog, Wien 2009, 180.

 

 

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