Wenn das Archiv bereits dagewesen ist

Die Ausstellung „Kunst-Musik-Tanz: Staging the Derra de Moroda Dance Archives“ in Salzburg, Museum der Moderne, 19. März bis 3. Juli 2016

Franz Anton Cramer (Berlin, Salzburg)

 

 

Das Museum der Moderne in Salzburg hat sich seit einigen Jahren unter der neuen Leitung von Sabine Breitwieser den Themen Choreographie, Bewegung und Performance geöffnet. Nach Ausstellungen über Simone Forti („Simone Forti. Mit dem Körper denken: Eine Retrospektive in Bewegung“, 18. Juli 2014 bis 9. November 2014), Billy Klüver („E.A.T. Experiments in Art and Technology“, 25. Juli 2015 bis 1. November 2015) oder Carolee Schneeman („Carolee Schneemann. Kinetische Malerei“, 21. November 2015 bis 28. Februar 2016) lud sie die ebenfalls in Salzburg ansässigen Derra de Moroda Dance Archives zu einem Projekt in ihr Haus ein. Das Derra de Moroda-Archiv ist eine bedeutende Sammlung an Literatur und Dokumenten zur Geschichte des Tanzes seit dem 17. Jahrhundert. Doch anstatt die Bestände dieser Einrichtung museal zu präsentieren, entstand gemeinsam mit den Tanzwissenschaftlerinnen Irene Brandenburg, Nicole Haitzinger und Claudia Jeschke von der Salzburger Universität – sie beherbergt das Moroda-Archiv – die Idee einer Umkehrung. Was können Künstler unterschiedlicher Disziplinen aus dem Archiv des Tanzes an Erkenntnissen und Inspiration gewinnen? Wie stellt sich ihnen der Tanz aus archivischer Perspektive dar? Was geht in ihre Kunstpraxis ein?

Den Antworten auf solche Fragen war die Ausstellung „Kunst—Musik—Tanz: Staging the Derra de Moroda Dance Archives“ gewidmet. Sie zeigte die als Auftragswerke entstandenen Arbeiten von zehn Künstlern, die den Tanz über den Umweg des Archivs erkunden. Ausgehend von den Manifestationen des Tanzes im Archiv entstanden künstlerische Reaktionen auf Bewegungsphänomene, die mediale Verschiebungen beleuchteten.

 

„Konzipiert wie zwei ineinandergreifende Ausstellungen, präsentiert die Schau in fünf Räumen Schwerpunkte des Archivs und in sich dazwischen öffnenden Zonen Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, die hier ihre Premiere haben. Das Archiv wird in vier thematischen Schwerpunkten erschlossen: Tänze anderswo, Bewegung schreiben, Korrespondenzen sowie Entwürfe des modernen Tanzes. Ein fünfter Raum ist Derra de Moroda selbst gewidmet. Im Ausstellungsparcours treffen die aufbereiteten Inhalte des Archivs mit davon inspirierten Werken von zehn zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern aus sechs Ländern zusammen. Die Spannbreite der Medien der zeitgenössischen Werke reicht von Malerei, Zeichnung und Collage über Video- und Soundinstallation bis hin zu Performance-Kunst.“ (http://www.museumdermoderne.at/de/art-music-dance//, eingesehen am 15. Dezember 2016)

 

 

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Abb. 01: Philipp Gehmacher: Who’s afraid? I am afraid.

Ausstellungsansicht: Kunst–Musik–Tanz. Staging the Derra de Moroda Dance Archives
© Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar

 

Den Anfang machte Philipp Gehmacher. Who’s afraid? I am afraid. besteht aus zwei konstruktivistischen Objekten. Sie verwenden quadratische Stücke von Tanzteppichen, deren schwarze Unterseite sich auf die weiße und graue Oberseite faltet. Das derzeitige Schillern des Tanzes als eine Kunst des Theaters, also der Blackbox, die sich zunehmend im White Cube des Museums heimisch zu fühlen beginnt, kommentiert Gehmacher mit seinem Grey Space. Seine Installation eröffnet den Ausstellungsparcours und nimmt die Formen zwischen Theaterraum und Museumsambiente in abstrakter Andeutung vorweg.

Andrea Geyer befasste sich mit der schillernden Biographie von Archivgründerin Friderica Derra de Moroda. Deren Verstrickungen mit der nationalsozialistischen Kulturpolitik und dem „Kraft durch Freude“-Ballett stand Pate für Geyers 3-Kanal-Projektion Truly Spun Never, bei der Texte und Äußerungen de Morodas vorgetragen werden, und zwar den beteiligten Tänzerinnen ebenso wie dem Betrachter, der vom Sprecher stets in den Blick genommen wird. Der Tanz geht alle an, vor allem, wenn er seine politische Macht ausspielt.

 

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Abb. 02: Paulina Olowska

V.l.n.r. Rhythmic Composition, 2016; Arabesque, 2016; I Danced in front of the Opera Ballet – Krystyna Mazurowna, 2015; Symphony in Three Movements, 2016; Pavlova Painting, 2016

Ausstellungsansicht
 Kunst–Musik–Tanz. Staging the Derra de Moroda Dance Archives
© Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar

 

 

 

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Abb. 03: Ulrike Lienbacher: Aus der Serie Konstellationen,
Ausstellungsansicht
 Kunst–Musik–Tanz. Staging the Derra de Moroda Dance Archives
© Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar

 

Paulina Olowska war mit fünf großformatigen Gemälden in Öl auf Leinwand vertreten; sie spielen Tanz- und Bewegungsmotive ebenso durch wie figurative und abstrakte Maltraditionen. Es schien, als gelte die Faustregel: Je traditioneller das künstlerische Genre, desto direkter der Bezug auf Tanzbewegungen als solche, als rein aisthetisches Phänomen. So widmet sich Ulrike Lienbacher ganz der Zeichnung von bewegten Körpern und dynamischen Schönheitslinien, während Ania Soliman Labans Kinetographie als pompöses Sujet präsentierte: Kinetogramme im Überformat und in den drei Grundfarben Rot, Gelb, Blau auf Schwarz. Das gemahnt an die Vision des modernen Tanzes, alle Bewegung, auch die künstlerische, auf unhintergehbare Prinzipien zurückzuführen.

 

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Abb. 04: Ania Soliman: Verschiedene Titel
Ausstellungsansicht
 Kunst–Musik–Tanz. Staging the Derra de Moroda Dance Archives
© Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar

 

 

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Abb. 05 Lia Perjovschi: Research Map
Ausstellungsansicht
 Kunst–Musik–Tanz. Staging the Derra de Moroda Dance Archives
© Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar

 

Damit hatte die rumänische Archivkünstlerin Lia Perjovschi keine Sorgen. Im Künstlergespräch bekannte sie, bis zur Anfrage durch das Museum von Friderica Derra de Moroda überhaupt keine Kenntnis gehabt zu haben. Wahrscheinlich sei sie wohl Dadaistin gewesen, so ihre launige Vermutung – immerhin sei 2017 das Jubiläumsjahr des Café Voltaire. Ihr skizzenhafter Beitrag Research Map versucht, Mapping-Strategien auf das Thema Tanz anzuwenden und steuert kaum leserliche Stichwort-Wolken zu „Choreographie“, „Das Archiv“ und „Tanz“ bei. So erschließt sie sich mit den Techniken des Archivierens den archivierten Gegenstand und verbindet Ordnungsprinzipien mit Ausstellungsdisplay. Sie betreibt in Bukarest das Contemporary Art Archive und ein Knowledge Museum als pragmatischen Umgang mit Defiziten in der Überlieferung wie auch im Zugang zu Geschichte.

Eszter Salamons Monument 0.3 Love Letters to Valeska Gert empfing den Besucher in einer lichtlosen Blackbox. Durchweht war sie von zwei Stimmen: Eszter Salamon spricht zu Valeska Gert, legt Rechenschaft ab von ihrer Bewunderung für diese Künstlerin, die „Revolution der Routine vorgezogen hat“, zeitlebens ein „Punk“ geblieben ist und trotz aller Schicksalsschläge niemals resignierte. Die Angesprochene macht sich ebenfalls bemerkbar – in die Soundinstallation sind Gerts Stimmkünste eingeflochten: aus Das Baby, Der Tod und aus Fernsehinterviews.

 

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Abb. 06: Sergei Tcherepnin: Games
Ausstellungsansicht
 Kunst–Musik–Tanz. Staging the Derra de Moroda Dance Archives
© Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar

 

Sergei Tcherepnin, ein Medienkünstler aus den USA, brachte mit Games eine komplexe Paraphrase zu Vaslav Nijinskys modernistischem Ballettwerk Jeux (1913) in die Ausstellung, eine interaktive Bild-Sound-Installation zur (heinlichen) Erotisierung des Sports; der Beitrag von Nicole Haitzinger analysiert dieses Werk in seinen vielfältigen biographischen, popkulturellen und kulturgeschichtlichen Facettierungen.

Jonathan Burrows hatte als einziger eine choreographische Arbeit im engeren Sinne beigesteuert: ein Solo für Claire Godsmark, dessen Titel – Der Moderne Tanz – der gleichnamigen Monographie von Hans Brandenburg (1921) entlehnt ist. Zum Eröffnungswochenende im Auditorium des Museums gezeigt, war sie in der Ausstellung als Video zu sehen. Burrows sagt, Tanz stehe in einem „seligen Vergessen seiner Geschichte“. In Salzburg formulierte sich eine Gegenthese: Die Geschichte des Tanzes geht seinen Formen voraus, und die Künstler von heute arbeiten mit dem Wissen von morgen; aber natürlich nur, soweit es auch im Archiv gewesen ist.

 

http://www.museumdermoderne.at/de/art-music-dance/einfuehrung/

 

 

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