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Willkommen zur achten Ausgabe des e-Journals
MAP - Media | Archive | Performance

 

MAP #8    Transformieren. Re-Inszenieren.

 

 

Die achte Ausgabe von MAP widmet sich in zwei Kapiteln den Transformationsprozessen von Aufführungen in mediale Artefakte und den aktuellen Re-Inszenierungen in Ausstellungen, künstlerischen Arbeiten und Gesprächen zu Archiven der Aufführungskünste. In einem dritten Teil beginnen wir eine kleine Reihe mit Archiv-Analysen, die exemplarisch das Sammeln, Ordnen, die Gebrauchsweisen von Dokumenten und Artefakten aus der Historie einzelner Häuser, Gruppen oder Performance-Künstler_innen vorstellt.

 

Unter dem Titel Intermediale Prozesse: Film – Performance – Fotografie verfolgen die Autorinnen des ersten Kapitels die Transformationen von Aufführungen in verschiedene Filmformate. Sie untersuchen die Filme als eigenständige künstlerische Arbeiten, die nicht auf den Status des Dokuments vergangener Ereignisse reduziert werden können und oftmals in Beziehung zu Verfahren zeitgenössischer experimenteller Filme verstanden werden müssen. Diese Perspektive, die ausgehend von Aufführungen auf filmische Transformation blickt, wird durch eine Umkehrung ergänzt, indem das Interesse von Filmemacher_innen befragt wird, deutlich als theatral markierte Inszenierungsmodi zu integrieren und sie als Form der Reflektion über das filmische Medium auszustellen. Susanne Holschbach untersucht in diesem Kontext den Status der intermedialen Beziehung zwischen Fotografie und Bewegtbild in Yvonne Rainers Lives of Performers. Sabine Nessel und Linda Waack stellen in der Untersuchung dreier Filme von Babette Mangolte deren filmische Signatur ins Zentrum, die dokumentierende und essayistische filmische Strategien verbindet und sich im Kontext von Filmgeschichte und -theorie zeigt. Auch Ulrike Hanstein zeigt an Stuart Brisleys und Ken McMullens Film Being and Doing in präziser Analyse auf, wie in Montage, Tonaufnahmen und Voice-over-Erzählung eine Ästhetik entwickelt wurde, Performances und Aktionen, die der Film (auch) dokumentiert, in filmische Prozesse zu transformieren. Die Film- und Installationskünstlerin Anne Quirynen stellt einige ihrer Arbeiten vor, die auf einer engen Kooperation mit der Forsythe Company beruhten und erläutert ihr Interesse an der Verbindung von Film und Tanz. Auch die Wiener Künstlerin Mara Mattuschka arbeitet seit geraumer Zeit – zusammen mit Chris Haring und der Gruppe liquid loft – an einer Verbindung von choreografierter mise en scène und filmischer Transformation. Drei ihrer Arbeiten stellt Brigitta Burger-Utzer vor und zeigt, dass sie eigenständige intermediale Dramaturgien zwischen Sound, Bild und Körper-Bewegung entfalten. Abschließend ergänzt Barbara Büscher die Bewegung der Transformation zwischen Aufführung und Film – unter anderem ebenfalls anhand der Filme von Mattuschka – durch die Untersuchung von Schichtungen theatraler und filmischer Inszenierungsmodi, denen sie den Begriff der Maskerade als Modell zur Beschreibung zuordnet. Dieses Kapitel basiert auf einem Workshop, der im April 2015 im Rahmen des Forschungsprojektes „Verzeichnungen“ in Leipzig stattfand. Hier hatte auch Brigitta Kuster ihr Projekt zum kolonialen Archiv anhand dreier Filme vorgestellt, die sie gemeinsam mit Moïse Merlin Mabouna gemacht hat. Den Wechsel ins Medium der Schrift in Rechnung stellend, präsentieren wir gemeinsam mit der Autorin ein Kapitel aus dem Band, der ebenfalls Ergebnis dieses Forschungsprojektes ist. Brigitta Kusters Essay zur Aus/Wahl einer singulären Vergangenheit beleuchtet unterschiedliche Aspekte und Problemstellungen im Umgang mit der Erforschung und Verarbeitung von Geschichte im Kontext des deutschen Kolonialismus.

Dieser Beitrag eröffnet das zweite Kapitel Archiv. Geschichten – Re-Inszenierung und Präsentation, dessen Zentrum das Zirkulieren solch medialer Artefakte in verschiedenen Formen der Präsentation ebenso wie das Zirkulieren von historischen Narrativen durch verschiedene Medien und Formen der (Re-)Inszenierung bildet. Sie sind sowohl Auseinandersetzung mit wie spielerische ‚Entwendung‘ und Aneignung von Archiven und Geschichtserzählungen. Zumeist als künstlerische Praxis entwickelt erlauben die vorgestellten Verfahren und Zugangsweisen eine Bewegung, die historische Zusammenhänge sowohl über größere Zeiträume hinweg wie auch im Feld des Individualbiographischen darstellbar und ästhetisch produktiv werden lässt.

Jede Aufführung, jede Vorstellung, jede künstlerische Position ist auch eine kollektive Veranstaltung, ein Zwiegespräch oder ein Austauschprozess. Dessen ‚Gegenwärtigkeit’ oder vielleicht eher Vergegenwärtigung ist einer der zentralen Aufträge archivischer Praxis; dies im Gegensatz zu einer ‚Transzendenz des Vergänglichen’, die Barbara Formis benennt:

“The myth of presence is […] based on an archaeological approach to the arts whereby ruin always prevails over experience, and authenticity lies in the no longer present.” [Formis, Barbara, „Performance Here and Then.“ In Mathieu Copeland und Julie Pellegrin (Hgg.), Choreographing Exhibitions. Dijon: Les Presses du réel 2013, S. 56 – 68.]

 

So stellt Ulrike Krautheim in ihrem Porträt des japanischen Filmemachers Meiro Koizumi dessen minimalistische Gedächtnis-Installation Where the Silence fails vor. Die Authentizität des Augenzeugenberichts verschwimmt darin mit der archivischen Überlagerung und kritischen Befragung des Dokumentarischen zu einer Parabel auf das Lückenhafte der Überlieferung. Lucie Ortmann befasst sich mit dem umfangreichen und vielschichtigen Dokumentations- und Archivprojekt „Archive Box“, das seit 2013 mit Unterstützung der japanischen Saison Foundation Künstler_innen aus Japan und anderen Ländern des Pazifikraumes zu einer Beschäftigung mit der Selbstarchivierung aufgefordert hat, deren Ergebnisse wiederum umfangreich dokumentiert sind. Nicole Haitzinger diskutiert anhand eines zeitgenössischen künstlerischen Projektes, das 100 Jahre umgreift, die Thematisierung des ›homme contemporain‹ im Kontext der frühen Tanzmoderne und der zeitgenössischen, medial dominierten Populärkultur: Vaslav Nijinskys Ballett Jeux von 1913 diente dem New Yorker Künstler Sergei Tcherepnin als Anlass für seine interaktive Soundinstallation Games (2015) im Rahmen der Ausstellung „Kunst – Musik – Tanz. Staging the Derra de Moroda Dance Archives“ am Museum der Moderne Salzburg (2016). Franz Anton Cramer gibt einen kurzen Überblick über die dort gezeigten Arbeiten, die Künstler_innen zur Arbeit im und mit dem Archiv aufgefordert hat.

Den Abschluss des zweiten Kapitels bilden zwei Gesprächsprotokolle, die die Re-Inszenierung von Geschichte(n) in der Tradition mündlicher Überlieferung als wichtiges Medium von Archivprozessen der Aufführungskünste fortführen. Verena Eitel hat ein Interview mit den Initiatorinnen des feministischen Filmarchivprojekts „Blickpilotin“ geführt, dessen Schriftgut 2016 an die Stiftung Deutsche Kinemathek übergeben worden ist. Und Eric Morrill spricht mit dem Performancekünstler und Kunstaktivisten Jean-Jacques Lebel über die Performance-Szene im Paris der 1950er/60er Jahre, die er als einer der wichtigen Protagonisten geprägt hat, sowie über die Frage, ob und wie Performance überhaupt dokumentierbar ist.

 

Das Kapitel Archiv. Analysen bildet den Auftakt zur Präsentation der Ergebnisse aus unserer Untersuchung unterschiedlicher Archivpraktiken, wie wir sie seit 2012 durchgeführt haben. Neben einer Zusammenfassung allgemeiner Befunde zu Möglichkeiten, Grenzen und Hindernissen der Archivarbeit zu den Aufführungskünsten stellt Franz Anton Cramer die Situation an der Spielstätte und dem Produktionsort HAU Hebbel am Ufer in Berlin vor. Weitere Einzeluntersuchungen folgen in den nächsten Ausgaben.

Die Herausgeber_innen danken allen Autor_innen für Ihre großzügige Mitarbeit. Kommentare und Anregungen sind uns jederzeit willkommen.

Barbara Büscher, Franz Anton Cramer

 

Redaktion dieser Ausgabe:
Barbara Büscher, Franz Anton Cramer, René Damm, Verena Elisabet Eitel, Elisabeth Heymer, Lucie Ortmann

 

im März 2017
ISSN 2191-0901

 

Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Unterstützung zur Veröffentlichung dieser Ausgabe.

 

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