Editorial

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Willkommen zur fünften Ausgabe des e-Journals
MAP - Media | Archive | Performance

 

MAP #5   Archiv / Prozesse 2

 

 

Archivprozesse haben sich längst entgrenzt. Methodisch nicht mehr streng determiniert überschreiten sie institutionelle Rahmungen. Weder beschränken sie sich auf die klassischen Techniken und Fertigkeiten der Archivkunde, noch machen sie halt an den Grenzen des Dokuments als Zeugnis und Beglaubigung. Gleichwohl verlaufen sie nicht beliebig. Sie lassen immer aufs Neue Ord­nun­gen entstehen, deren Aktualisierung und Re-Konfiguration zum Prozessualen des Wissens gehören. Die Verbindung zu ihrem vermeintlich Vorgängigen, dem Referenzobjekt oder vergangenen Ereignis, wird ambivalent und als wechselseitig, nicht-hierarchisch verstanden. Archivprozesse werden zu eigen­stän­di­gen Formen der Generierung von Bedeutung und der Strukturierung von Sinn.

 

Versteht man aktuelle Archivprozesse vor allem als Ressourcen der Verständigung mit Geschichte – wie es etwa das Projekt re.act.feminism getan hat und auch das Living Archive des Berliner Arsenal –, lassen sich mehrere Linien extrapolieren, die auch die Beiträge dieser Ausgabe strukturieren. Sie greifen die Diversität von Konzepten auf und untersuchen ihre Funktionen und Strategien. Dabei können die Erwartungen, welche die Archiv-Verantwortlichen selbst an ihre Bestände haben, mit den Nutzungsformen im Widerspruch stehen, die an das Archiv herangetragen werden. Welche Ebenen gibt es, auf denen Sammlungen zu aufführungs­basierten Künsten sich wechselseitig profilieren können?

 

Die fünfte Ausgabe von MAP gliedert sich in vier Kapitel und integriert drei künstlerische Positionen zu Aspekten des Archivierens, Aufzeichnens und Re-Inszenierens.

Unter dem Stichwort „Transparenz“ widmen sich im ersten Teil Laurence Rassell (Barcelona), Barbara Clausen (Montréal) sowie Elisabeth Timm (Münster) grundlegenden Fragen nach Ordnungen im musealen Raum und knüpfen damit direkt an den zweiten Teil der vierten Ausgabe von MAP an. Visualisierungen von Geschichte, Konfigurationen von Kunstwerken und kuratorische Tätigkeit verwenden ganze Institutionen als strukturierende Einheiten und Kreuzungspunkte archivischer und kreativer Praktiken. Die hierfür eingesetzten Strategien streben einerseits nach Transparenz der Entscheidungsprozesse und Handlungsfelder, andererseits reagieren sie, als öffentliche Einrichtungen, auf soziologische und gesellschaftspolitische Vorgaben.

Erweiterungen des Archivbegriffs sind konstitutiv für die aktuelle künstlerische und wissenschaftliche Praxis; wir stellen sie unter dem Titel „Verkörperung(en)“ vor. Was in Begriffen wie „Körperarchiv“ oder „lebendiges Archiv“ mitschwingt, ist eine Verleiblichung historischer Praktiken jenseits des objektivierenden Dokuments bzw. Artefakts. Fern von der Institution und dem Ort des Archivs entwickeln choreographische und künstlerische Projekte ganz konkrete Anknüpfungspunkte für die Beschäftigung mit Objektivierung. Julia Wehren (Bern), Isa Wortelkamp (Berlin) und Elisabeth Heymer (Berlin) untersuchen künstlerische Projekte, die eine zeitliche und historische Dimension ins Jetzt der ästhetischen Begegnung transportieren.

Dabei ist die Konstitution von Archiven wesentlich determiniert durch die Objekte, die in ihm Platz finden oder die der Analyse dienen. Doch welche Gegenstände gelangen überhaupt ins Archiv? Wie sind sie konstituiert, und was ist ihr tatsächlicher heuristischer Wert? Inwiefern sind sie auf den Rahmen des Archivs angewiesen, und was können sie aussagen, innerhalb und außerhalb der Ordnung, in der sie erscheinen? Eric Padraic Morrill (Oakland / Berlin), Sabine Huschka (Berlin), Eike Wittrock (Berlin) und Lilo Nein (Wien / Den Haag) befassen sich aus je unterschiedlicher Perspektive mit dem teils paradoxen Status bildlicher Dokumente, die immer auch Medien des Archivs und der Archivbildung sind: "Paradoxe Medien".

Mit den untersuchten Erweiterungen des Archivbegriffs geht eine stärkere Ausrichtung auf „Instabile Ordnung(en)“ einher. Das mag widersprüchlich anmuten, steht doch das Archiv als verlässlicher Ankerpunkt im Mittelpunkt historischer Selbst­vergewisserungen. Doch die Kontexte, in denen und für die Sammlungen zusammengetragen werden, reagieren gleichsam in lebendiger Interaktion auf die vielfältigen Prozesse der Entstehung und der Interessen. Daraus entstand der Begriff des „Living Archive“, zugleich Titel des mehrjährigen Projektes zur/mit der Arbeit des Arsenal-Archivs und seiner ebenso zufälligen wie profilierten Filmsammlung, das Stefanie Schulte Strathaus (Berlin) vorstellt. Ergebnisse des Projekts „Verzeichnungen. Medien und konstitutive Ordnungen von Archivprozessen der Aufführungskünste“ werden anhand der Fallstudien von Barbara Büscher (Leipzig / Köln), Franz Anton Cramer (Berlin) und Jasmin İhraç (Leipzig / Berlin) in umfassendere Kontexte eingestellt und anhand diverser Gebrauchweisen, Lesarten und Aktualisierungen erörtert.

 

Wir danken sehr herzlich allen, die zu dieser Ausgabe beigetragen haben und freuen uns auf Eure / Ihre Anregungen und weiterführende Überlegungen.


Barbara Büscher
Franz Anton Cramer
René Damm
Verena Elisabet Eitel

 

Mai/Juli 2014
ISSN 2191-0901

 

Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Unterstützung zur Veröffentlichung dieser Ausgabe.

 

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