[R. Murray Schafer]

 

 

SCHIZOPHONIE: Griechisch schizo bedeutet ‚gespalten, getrennt’; und phon ist das griechische Wort für Stimme. Schizophonie bezieht sich auf die Spaltung eines Lautes in den ursprünglichen Laut und seine elektroakustische Übertragung oder Reproduktion. Es ist eine Entwicklung der zwanzigsten Jahrhunderts.

Ursprünglich waren alle Laute Originale. Sie kamen nur einmal an einem Ort vor. Zu jenen Zeiten waren Laute unlösbar an die Mechanismen gebunden, die sie hervorbrachten. Die menschliche Stimme trug nur so weit, wie man rufen konnte. Jeder Laut war unnachahmbar, einmalig. Laute waren einander ähnlich, sie waren jedoch nicht identisch. Tests haben bewiesen, dass es physikalisch dem vernünftigsten und geschicktesten Lebewesen unmöglich ist, ein einziges Phonem seines eigenen Namens zweimal identisch zu reproduzieren.

 

Seit der Erfindung von elektroakustischen Mechanismen für die Übertragung und Speicherung von Lauten kann jeder Laut, ganz gleich wie schwach er ist, verstärkt und rund um die Welt gejagt werden, oder aber er wird für zukünftige Generationen auf Band und Platte gespeichert. Wir haben den Laut von seinem Urheber abgespalten. Laute sind aus ihrem natürlichen Rahmen herausgerissen worden, und sie haben eine verstärkte und unabhängige Existenz erhalten. Die Stimme ist beispielsweise nicht mehr an eine Öffnung im Kopf gebunden.

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Der Wunsch, Laute aus Zeit und Raum herauszulösen, war schon früher in der Geschichte der abendländischen Musik erkennbar, so dass die neuen technologischen Entwicklungen an alte Vorstellungen anknüpfen konnten. Das Geheimnis, quomodo omnis generis instrumentorum musica in remotissima spacia propagari posset (wie alle Formen von Instrumentalmusik in die entferntesten Orte übertragen werden konnten), bildete die Hauptbeschäftigung des Musikers und Erfinders Athanasius Kircher, der diese Fragen in seiner Phonurgia Nova von 1673 in allen Einzelheiten diskutierte.

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Als nach dem zweiten Weltkrieg das Tonbandgerät das Schneiden des aufgezeichneten Materials ermöglichte, konnte jeder Laut herausgelöst und in jeden gewünschten Kontext wieder eingefügt werden. In neuester Zeit hat das Quadrophoniesystem eine 360-Grad-Lautsphäre von beweglichen und stationären Schallereignissen geschaffen, die es gestattet, jede Lautsphäre räumlich und zeitlich zu simulieren. Dadurch kann akustischer Raum vollständig transportiert werden.

 

 

R. Murray Schafer. Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Aus dem Amerikanischen von Kurt Simon / Eberhard Rathgeb. Frankfurt/M. 1988, 121-123 (O: The Tuning of the World. 1977)