Erkenntnis durch Visualisierung

Annäherungen an den Prix Ars Electronica

Gabriele Blome (Siegen)

 

 

 

 

 

Informationsvisualisierung, eigentlich eine Disziplin der Informatik, beschäftigt sich mit der computerbasierten graphischen Darstellung großer Mengen von Daten mit dem Ziel, durch die graphische Repräsentation Daten beobachtbar und explorierbar zu machen und Erkenntnisse über referenzierte Sachverhalte zu ermöglichen. Im Unterschied zu den mit physikalischen Phänomenen und Prozessen assoziierten Daten wissenschaftlicher Visualisierungen repräsentieren Informationsvisualisierungen abstrakte Daten, wie demografische oder Börsendaten. Sie werden auch beispielsweise eingesetzt, um Texte zu analysieren, Verbindungen zwischen Personen oder Begriffen darzustellen oder auch Referenzen zwischen Texten zu untersuchen. Informationsvisualisierung ist auch Gegenstand oder Teilaspekt einer Reihe künstlerischer Arbeiten wie etwa in der Arbeit "Lavoro Immateriale" der Künstlergruppe Knowbotic Research[1], in "Pockets full of Memory" von George Legrady[2] oder in "Energie_Passagen"[3] von Monika Fleischmann und Wolfgang Strauss. Für andere Medienkünstler wie Aaron Koblin steht Informationsvisualisierung gar im Zentrum ihres Schaffens[4]. Allerdings ist Visualisierung von Information nicht erst seit der Nutzung des Computers als Medium künstlerischen Arbeitens ein Thema in der Kunst, denken wir beispielsweise an George Maciunas "Expanded Arts Diagram"[5] oder Mieko Shiomis "Spatial Poem No. 1 Word Event"[6].

 

Aufgrund der Tatsache, dass viele kulturelle Artefakte heute selbst digital produziert, präsentiert und distribuiert werden und sich ein nicht unwesentlicher Teil kultureller Kommunikation im World Wide Web vollzieht, entsteht auch im Bereich der Kultur umfangreiches digitales Datenmaterial, das ebenfalls visualisiert werden kann, um einen besseren Einblick in die sich vollziehenden Prozesse kultureller Kommunikation und Produktion zu erhalten. Lev Manovic leitet daraus einen neuen Ansatz zur Untersuchung von Kultur ab, den er Kulturanalytik nennt. Die Strategien quantitativer Datenanalyse und -visualisierung sollen genutzt werden, um neue Einsichten in kulturelle Prozesse zu erhalten, wobei sowohl kulturelle Artefakte wie auch kulturelle Information (also die Kommunikation über kulturelle Artefakte) Gegenstand der Untersuchung sein können. Die Analyse von visuellen Artefakten erfolgt durch die Extraktion einer großen Zahl von Merkmalen, die Struktur und Inhalt der Werke kennzeichnen.[7] Die automatische Analyse quantifiziert diese Merkmale und mittels Visualisierung werden dann Muster sichtbar, die sich der menschlichen Wahrnehmung und Kognition sonst nicht erschließen. Manovic plädiert dafür, nicht mehr wie bisher von der Analyse einzelner Werke oder Schulen auf die Charakteristika der Kulturproduktion einer Epoche zu schließen, sondern diese aus der quantitativen Datenanalyse einer großen Zahl von Werken und ihrer Visualisierung zu erschließen.8

 

Einen vergleichbaren Ansatz verfolgte die Forschungslinie "Visualisierung und Wissensrepräsentation" des Ludwig Boltzmann Instituts Medien. Kunst. Forschung. in Linz während ihres zweijährigen Bestehens[9]. Allerdings ist der Umfang des hier untersuchten Materials – vornehmlich aus dem Bestand des Archivs der Ars Electronica – wesentlich kleiner, weshalb die hier geleistete Arbeit nur begrenzt mit den Ideen Manovics vergleichbar ist, dessen Ansatz auf umfassendere Entwicklungen abzielt - bis hin auf globale Prozesse. Anhand zweier Visualisierungen zum Prix Ars Electronica[10] soll im Folgenden exemplarisch untersucht werden, was diese Grafiken jeweils zur Anschauung bringen, welche Schlüsse sie zulassen und wo die Grenzen der Anschaulichkeit liegen. Denn durch die mit der Sichtbarmachung verbundenen Selektions- und Formalisierungsprozesse bleibt notwendigerweise auch vieles unsichtbar, das jedoch nicht ohne Einfluss auf das gezeichnete Bild ist. Dieses der Visualisierung inhärente Dilemma des Verbergens im Zeigen soll thematisiert und im Hinblick auf die Konsequenzen für die Nutzung von Visualisierungen als Instrumentarium für die Wissensproduktion hinterfragt werden.

 

 

 

Der Prix Ars Electronica

Der jährlich in verschiedenen Kategorien ausgelobte Prix Ars Electronica ist der wohl wichtigste Preis zur Auszeichnung von Werken, Produktionen und Projekten, die unter Einbeziehung von Computertechnologie produziert werden. Initiiert 1987 vom ORF Oberösterreich wurden zunächst Werke in den Kategorien Computermusik, Computeranimation und Computergrafik ausgezeichnet. In der Folge kamen neue Kategorien hinzu, einige wurden abgeschafft. Seit 2004 ist die Ars Electronica Veranstalter des Preises, der 2009 in acht Kategorien ausgeschrieben wurde: Computer Animation/Film/VFX, Digital Musics, Hybrid Art, Interactive Art, Digital Communities, Media Art.Research.Award., u19 freestyle computing, [the next idea] voestalpine Art and Technology Grant. In den gattungsbezogenen Kategorien werden pro Jahr in der Regel ein erster Preis (Goldene Nica) und zwei Auszeichnungen vergeben. Zusätzlich sprechen die JurorInnen pro Kategorie zumeist neun lobende Erwähnungen aus.[11]

 

Der Erfolg des Prix Ars Electronica spiegelt sich in eindrücklichen Zahlen wider: Seit seiner Gründung wurden laut Gerfried Stocker insgesamt 42.889 Werke bzw. Projekte eingereicht, wobei die Zahl der Einreichungen von Jahr zu Jahr zugenommen hat.[12] Eine Darstellung der Geschichte der Ars Electronica könnte also viele Seiten füllen.[13] Anstatt jedoch die Entwicklung des Preises in einem abstrakten Zahlenspiel zu referieren, repräsentieren die Diagramme des Zyklus "X by Y" von Moritz Stefaner diese in anschaulicher Weise und verschaffen dem interessierten Beobachter schnell Einblick in die wesentlichen Züge der Entwicklung.

 

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Abb. 1: Moritz Stefaner, X by Y, Kreisdiagramm mit allen Einreichungen zum Prix Ars Electronica von 1987 bis 2009

 

Alle Diagramme der Serie "X by Y" basieren auf zwei zentralen Gestaltungsprinzipien: jeder Kategorie ist eine Farbe zugeordnet und jede Einreichung ist durch einen Punkt repräsentiert. Die farbigen Punkte werden im Kreisdiagramm im goldenen Winkel zueinander angeordnet, der sich ergibt, wenn man bei der Berechnung der Anordnung die Zahlen der Fibonacci-Folge im Nenner verwendet.[14] Abb. 1 repräsentiert also alle Einreichungen von 1987 bis 2009, die nach Jahren und Kategorien im Kreis angeordnet sind, wobei die Anordnung im Zentrum ihren zeitlichen Ausgangspunkt nimmt. Dieses Kreisdiagramm vermittelt vornehmlich einen quantitativen Eindruck der eingereichten Projekte[15] und signalisiert durch die farblichen Veränderungen eine inhaltliche Verschiebung, die jedoch kaum konkret abgelesen werden kann.

 

Die Diagramme des Zyklus "X by Y" werden zum Typus der Grafiken zur Präsentation gerechnet, die in der Informationsvisualisierung von solchen zur Exploration unterschieden werden. Grafiken zur Präsentation sind statisch und zeichnen sich durch eine hohe grafische Qualität aus. Sie sollten Legenden aufweisen, die die verwendeten Zeichen erläutern, und müssen keinerlei Auskunft darüber geben, wie sie zustande gekommen sind. Wichtig ist, dass sie die Schlüsse, die aus ihnen gezogen werden sollen, überzeugend unterstützen.[16] Allerdings sucht man die zur Entschlüsselung der Syntax notwendige Legende im Zyklus "X by Y" vergeblich. Wie sich noch zeigen wird, übernehmen einzelne Diagramme innerhalb des Zyklus diese Funktion. Obwohl die einzelne Grafik jeweils auf eine bestimmte Aussage hin optimiert ist, muss man den Zyklus auch in seiner Gesamtheit betrachten und darin übernimmt dieses erste und auf der Dokumentations-Website zu oberst dargestellte Kreisdiagramm die Rolle des Auftakts, einer Überschrift, die lediglich die enorme Menge der Einreichungen zeigt und darüber hinaus wenig Schlüsse zulässt.

 

 

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Abb. 2: Moritz Stefaner, X by Y, alle Einreichung zum Prix Ars Electronica 1987 bis 2009 repräsentiert durch jeweils ein Tortendiagramm pro Jahr, angeordnet nach Jahren in Leserichtung

 

Demgegenüber ergibt die Darstellung, in der die Einreichungen eines Jahres jeweils in einem Tortendiagramm repräsentiert sind, schon ein differenzierteres Bild. Die Kreise sind in zeitlicher Reihenfolge von links nach rechts geordnet und werden tendenziell kontinuierlich größer, wobei 1995 ein Einbruch zu verzeichnen ist. Die Kategorie der Computergrafik, die bis dato die meiste Resonanz verzeichnet hatte, wurde 1994 zum letzten Mal ausgeschrieben. Ein weiterer quantitativer Sprung ist 2004 zu erkennen, als erstmals der Jugendwettbewerb "cybergeneration – u19 freestyle computing" ausgeschrieben wurde. Da jeder Kreis in farblich nach Kategorie differenzierte Segmente unterteilt ist, unterscheidet sich auch der farbliche Gesamteindruck der Kreise. Während die Zunahme der Anzahl der Kategorien deutlich zu erkennen ist, erschließt sich ihre farbliche Kodierung jedoch nur mithilfe eines weiteren Diagramms, das die Menge der Einreichungen je Kategorie darstellt, vergleiche Abb. 3.

 

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Abb. 3: Moritz Stefaner, X by Y, Einreichungen zum Prix Ars Electronica 1987-2009 differenziert nach Kategorien

 

Diese Aufschlüsselung der Anzahl der gesamten Einreichungen pro Kategorie legt zugleich offen, dass einzelne Farben mehrfach verwendet wurden. So ist den Kategorien "www", ".net", " Net Visison / Net Excellence" und " Net Vision" die Farbe flaschengrün zugeordnet, die Kategorien "Computer Animation","Computer Animation/Visual Effects" und "Computer Animation/Film/VFX" sind orange markiert, während die Einreichungen zu den Kategorien "Computer Music" und "Digital Musics" violett dargestellt sind. Im Interesse einer übersichtlichen Visualisierung scheint es gerechtfertigt und notwendig, ähnliche Kategorien, die einander ablösten, farblich zusammenzufassen. Zugleich verschleiert diese Farbgebung aber auch die mit dem neuen Namen verbundene Veränderung der inhaltlichen Ausrichtung der jeweiligen Kategorie.

 

Die Kategorien, die seit Ende der 90er Jahre netzbasierte Anwendungen auszeichnen, bieten hierfür ein anschauliches Beispiel. 1997 wird zwei Jahre zuvor eingerichtete Kategorie "World Wide Web Sites" erweitert und mit einer vornehmlich technischen Begründung in ".net" umbenannt.[17] Inhaltlich ist sie explizit auf künstlerische bzw. kulturelle Projekte ausgerichtet.[18] Die 2001 an ihrer Stelle etablierte Kategorie "Net Visison/Net Excellence" unterscheidet sich wiederum insofern, als sie inhaltlich breiter aufgestellt ist und nicht nur künstlerische Produktionen würdigt.[19] Außerdem wird sie in zwei Bereiche untergliedert, in denen jeweils eine Goldene Nica vergeben wird.[20] Weitere Modifikationen folgen, bis 2006 der Wettbewerb letztmalig Werke in der Kategorie "Net Vision" auszeichnet. Die visuelle Darstellung aller Einreichungen pro Kategorie (Abb. 3) sensibilisiert zwar den aufmerksamen Beobachter für Veränderungen durch die Darstellung von vier flaschengrünen Kreisen mit unterschiedlichen Labeln. In anderen Grafiken des Zyklus erscheint diese Differenzierung allerdings wesentlich marginaler. Darüber hinausgehende inhaltliche Veränderungen und Verschiebungen sind mit der gewählten visuellen Syntax kaum zu erfassen. So ist nicht erkennbar, dass auch nach 2006 weiterhin netzbasierte Arbeiten im Wettbewerb ausgezeichnet werden: Seit 2004 schreibt die Ars Electronica jährlichen einen Preis in der Kategorie "Digital Communities"[21] aus und netzbasierte Kunstwerke sind ab 2007 der Kategorie "Interactive Art" zugeordnet, also jener Kategorie, zu der vernetzte installative Arbeiten auch bereits in den Jahren zuvor eingereicht werden sollten.

 

Solche Details können in den Formalisierungsprozessen, die notwendig sind, um Grafiken auf Übersichtlichkeit und gute Lesbarkeit hin zu optimieren, kaum Berücksichtigung finden. Mit der farblichen Zusammenfassung einander ablösender Kategorien folgt der Designer letztlich der Auffassung des Veranstalters, dass mit der inhaltlichen Veränderung der Ausschreibung keine neue Kategorie geschaffen wird, sondern eine bestehende lediglich an die veränderten Bedingungen angepasst und fortgesetzt wird, womit auf visueller Ebene eine Einheitlichkeit für inhaltlich sehr heterogene Kategorieprofile entsteht. Für die Netz-Kategorien impliziert dies, dass die Eigenschaft der Vernetzung der in diesen Kategorien eingereichten Projekte höher bewertet wird, als beispielsweise eine Unterscheidung zwischen Ausschreibungen, die auf künstlerische und kulturelle Projekte begrenzt waren und solchen, die auch für wissenschaftliche und/oder kommerzielle Produktionen offen waren.

 

Eine weitere Problematik der Visualisierung kann darin gesehen werden, dass eine inhaltliche Neuausrichtung einer Kategorie nicht immer auch mit der Veränderung des Labels verbunden ist und folglich in der Visualisierung unsichtbar bleiben muss. Die Kategorie "Computer Music" wird beispielsweise 1987 zunächst für digital produzierte Musikstücke ausgeschrieben.[22] Ab 1996 müssen laut Ausschreibung wesentliche Teile der Komposition digital komponiert sein.[23] 1997 erfolgt eine wesentliche Neudefinition der Kategorie "Computer Music", indem jetzt "sämtliche Formen der Computermusik von der Komposition über Installationen, Klangraum-Projekten, Performances etc."[24] zugelassen sind. 1999 wird die Kategorie erneut erweitert und erhält den neuen Namen "Digital Musics". Von nun an sind auch Musikwerke aus dem Bereich der Electronica (Drum'n Bass, Dub, Techno, Ambient, VJing etc.) zugelassen sowie Sound and Media (Installationen, soundgesteuerte Visuals, Performances, Radioworks) und Computerkompositionen. Aus der inhaltlichen Perspektive wären die Kategorien "Computer Music" und "Digital Musics" also eigentlich in vier Kategorien zu untergliedern, um diese immensen Veränderungen sichtbar zu machen.

 

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Abb. 4: Moritz Stefaner, X by Y, Einreichungen zum Prix Ars Electronica 1987-2009, Matrix-Darstellung Einreichungen pro Kategorie und Jahr

 

Eine weitere Perspektive auf die Geschichte des Prix Ars Electronica vermittelt die Matrix-Darstellung. Sie zeigt, welche Kategorien wann auf wie viel Resonanz stießen, indem die Jahre auf der x-Achse repräsentiert sind, während auf der y-Achse jeder Kategorie eine Koordinate zugeordnet ist. So entsteht eine nach Jahren und Kategorien gegliedertes Matrix, in der pro Jahr und Kategorie je ein Kreisdiagramm angeordnet ist, das die Anzahl der in einem Jahr in der jeweiligen Kategorie eingereichten Projekte repräsentiert. Der Betrachter kann sofort erfassen, wann welche Kategorie eingerichtet oder abgeschafft und welche eventuell an ihrer Stelle neu geschaffen wurde. So fällt ins Auge, dass die Kategorie "Computergrafik" nur bis 1994 ausgeschrieben wurde und 1995 die Kategorie "world wide web" hinzukam, deren Nachfolgekategorien endgültig 2007 verschwinden. Diese Fakten sind allerdings weniger geeignet Erkenntnisse zu vermitteln, als Fragen aufzuwerfen. Warum wird beispielsweise die eine Kategorie eingerichtet, warum eine andere, die starken Zuspruch findet – wie die "Computergrafik" – abgeschafft? Sind mit der Abschaffung einer Kategorie die bis dato darin zusammengefassten Werke fortan aus dem Wettbewerb ausgeschlossen? Solche Fragen legt eine solche Visualisierung nahe, beantworten kann sie sie freilich nicht.

 

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Abb. 5: Moritz Stefaner, X by Y, Kartografische Darstellung der Tortendiagramme, die jeweils alle Einreichungen zum Prix Ars Electronica 1987-2009 aus einem Land repräsentieren

 

Im Gegensatz zur Problematik bei der Darstellung inhaltlicher Verschiebungen lässt sich die geografische Herkunft der Einreichungen recht einfach vermitteln. Moritz Stefaner hat dazu alle Einreichungen aus einem Land in jeweils ein Tortendiagramm zusammengefasst, das die Einreichungen nach Kategorien farblich differenziert und dieses in einer gedachten Weltkarte an der entsprechenden geografischen Stelle positioniert. Dabei entsteht erst durch die Anordnung aller Diagramme die Assoziation einer geografischen Karte. Sie macht auf einen Blick ersichtlich, dass die meisten Projekte zum Prix Ars Electronica aus Europa und dort insbesondere aus Österreich und Deutschland eingereicht werden. Außerhalb Europa stößt der Wettbewerb insbesondere in den USA, Kanada, Japan und Australien auf reges Interesse, deren Beiträge sich zum Teil signifikant unterschiedlich auf die Kategorien verteilen. So ist der Anteil der Einreichungen zur Kategorie "Interaktive Kunst" aus Japan vergleichsweise groß. Und während der Anteil der Beiträge zu "Computeranimation" und "Visual Effects" aus Frankreich besonders umfangreich ist, stammen die meisten britischen Beiträge aus der Musik. Der "Computergrafik" kam demgegenüber in Deutschland und den USA eine besondere Bedeutung zu. Auch wird deutlich, dass über 50 % der Einreichungen in Österreich im Jugendwettbewerb "u19 cybergeneration freestyle computing" bzw. "u19 freestyle computing" erfolgen, während bei den übrigen Einreichungen aus diesem Land der Anteil der Beiträge zur Kategorie "Digital Communities" vergleichsweise hoch auffällt.

 

 

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Abb. 6: Moritz Stefaner, X by Y, Darstellung der Einreichungen nach Auszeichnung

 

Das letzte, hier der Vollständigkeit halber zu erwähnende Diagramm zeigt alle Einreichungen, die je nach Art der Auszeichnung in Tortendiagramme zusammengefasst sind. Deutlich wird, dass die Gewinnchancen vergleichsweise gering sind. Schaut man genauer hin, fällt zudem auf, dass es immer wieder auch besondere Auszeichnungen vergeben werdn, wie eine Ehren-Nica, einen besonderen Jury-Preis oder auch "Acknowledgements for the contribution to the field."

Während die Diagramme von Moritz Stefaner darauf optimiert sind, bestimmte Aussagen so zu präsentieren, dass sie gut erfasst werden können, zeichnet sich die zweite hier vorgestellte Visualisierung des Prix Ars Electronica durch ihren dynamischen und polyzentrischen Charakter aus. Die von Dietmar Offenhuber mit der von ihm und Gerhard Dirmoser entwickelten Software "SemaSpace"[25] realisierte Visualisierung "Medienkunst als sozialer Prozess" bietet nicht zuallererst Ergebnisse, sondern unterstützt die Untersuchung von Verbindungen zwischen den am Prix Ars Electronica in der Rolle des Künstlers oder des Jurors beteiligter Personen. Sie beinhaltet potentiell unendlich viele Diagramme und erst im Vergleich mehrerer Perspektiven, Detailansichten und Einstellungen werden bemerkenswerte Aspekte sichtbar. Es handelt sich also um eine explorative Grafik, die dazu genutzt werden kann, um nach Ergebnissen zu suchen.[26]

 

 

 

Medienkunst als sozialer Prozess

Während Moritz Stefaners mit dem Zyklus "Y by X" vor allem Mengen von Einreichungen im Hinblick auf Herkunft, Jahr, Kategorie anschaulich macht, beschäftigt sich Dietmar Offenhuber mit den Verbindungen zwischen Personen und nutzt dafür die Metapher des Netzwerks. Für seine Visualisierung "Medienkunst als sozialer Prozess"[27] extrahierte er eine Reihe Daten aus der Datenbank der Ars Electronica: Auf Basis aller zwischen 1987 und 2009 verfassten Stellungnahmen zu den Juryentscheidungen in allen Kategorien wurden die Namen der jeweils beteiligten Mitglieder der Jurys des Prix Ars Electronica (im Folgenden jeweils Gremium genannt) ermittelt sowie die Namen der Urheber der von der jeweiligen Jury ausgezeichneten Werke. Als Attribute wurden zu jeder Personen außerdem erfasst: Geschlecht, Herkunftsland, Rolle, Typ sowie die URL zu einem Bild der Person im Ars Electronica Online-Archiv. Im Netzwerk bildet jede Person bzw. Gruppe (im Folgenden übergreifend als Akteur bezeichnet) wie auch jedes Gremium einen Knoten, während die Rollen der Akteure im Kontext des jeweiligen Gremiums durch die Kanten, also die Verbindungen der Akteure zu den Gremien, repräsentiert sind. Akteure sind also nie direkt, sondern immer nur über ein Gremium miteinander verbunden, wie auch jedes Gremium nur über Akteure mit einem anderen Gremium verbunden sein kann. Die Verbindungen werden als gerichtete Graphen dargestellt, das heißt, nicht einfache Linien sondern Pfeile verbinden die Knoten miteinander. Dabei zeigt der Pfeil von einem Akteur auf das Gremium, wenn der Akteur in diesem Gremium die Rolle des Jurors einnahm und er zeigt auf die Person, wenn der Akteur bzw. sein Werk vom jeweiligen Gremium ausgezeichnet wurde. Auf diese Weise kommen 2089 Knoten und 2659 Kanten zusammen, die das Juroren/Künstler-Netzwerk des gesamten Prix Ars Electronica von 1987 bis 2009 repräsentieren.

 

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Abb. 7: Dietmar Offenhuber, Medienkunst als sozialer Prozess, Netzwerk aller JurorInnen, die jeweils mit den Jurysitzungen verbunden sind, an denen sie teilnahmen.

 

Der explorative Charakter der Netzwerkvisualisierung wird durch die seitens der Software "SemaSpace" bereitgestellten Funktionalitäten gewährleistet, die es ermöglichen, die Darstellung des Netzwerkes zu verändern und zwecks Untersuchung verschiedene Perspektiven einzunehmen. Die bereitgestellten Selektions-, Filter und Darstellungsmöglichkeiten sind notwendig, da die Darstellung aller Verbindungen zu komplex ist, um Details zu erkennen. Jedoch hat Dietmar Offenhuber zu recht darauf aufmerksam gemacht, dass auch eine vermeintlich nicht zu erfassende Fülle, wie sie Abb. 7 aufweist, einen interessanten Aspekt des Preises offen legt: Aus der Verbindung zwischen den Akteuren und Gremien ergibt sich ein zusammenhängendes Netzwerk, das nicht etwa in kategoriespezifische Unternetzwerke zerfällt.28 Die Ursache für die zahlreichen Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Kategorien bleibt freilich offen. Es müsste im Einzelnen untersucht werden, welche Faktoren besonders dazu beigetragen haben, ob dies also darauf zurückzuführen ist, dass JurorInnen über die Jahre immer wieder an den Juryentscheidungen in einzelnen Kategorie beteiligt waren, dass JurorInnen in verschiedenen Kategorien mitgewirkt haben oder dass die Abgrenzung zwischen den einzelnen Kategorien vielleicht gar nicht so klar ist, wie ihre Label vermuten lassen.

 

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Abb. 8: Dietmar Offenhuber, Medienkunst als sozialer Prozess, Screenshot SemaSpace, Detail: Bedienmenü (Ausschnitt)

 

Links neben der graphischen Darstellung ermöglicht ein Bedienmenü, Teile der Netzwerkvisualisierung auszuwählen. Die verschiedene Navigations-, Selektions- und Präsentationsoptionen sollen hier jedoch nur in Auszügen erläutert werden.[29] Als Möglichkeit, eine erste Darstellung aufzurufen, steht neben einer kombinierbaren Suchfunktion[30], auch eine Zufallsoption zur Verfügung. Alternativ ist es zudem möglich, über die im unteren Bereich des Menüs zu findenden Listen mit den Namen aller Personen, aller Jahre oder aller Jury-Statements zu beginnen und durch Doppelklick gezielt einen Ausschnitt des Netzwerkes in den Blick zu nehmen. Der Grad der dargestellten Vernetzung ergibt sich aus der gewählten Anzahl der Verbindungsstufen (steps). Wählt man eine Verbindungsstufe, so erscheinen nur die direkten Verbindungen eines ausgewählten Akteurs zu den Gremien, in denen er mitgewirkt hat bzw. die mit dem ausgewählten Gremium direkt verbundenen Akteure. Mit welchen Gremien diese Akteure darüber hinaus verbunden sind, zeigt sich erst bei der Einstellung von zwei Verbindungsstufen. Dann werden also nicht nur die direkten, sondern auch die indirekten Verbindungen sichtbar. Für die grafische Darstellung des Netzes werden die Optionen "radial", "3D", "clusters" und "animate" angeboten, wobei zudem bestimmt werden kann, ob die Beschriftung (label) der Knoten erscheinen soll oder nicht und in welcher Weise (labelstyle 25º oder radial) sie gegebenenfalls angeordnet werden soll. Wichtig ist zudem die Zoomfunktion, die bei Bedarf Detailinformationen sichtbar macht. (* Hinweis zu den Abbildungen)

 

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Abb. 9: Dietmar Offenhuber, Medienkunst als sozialer Prozess, Screenshot SemaSpace, Ansicht: Jurys 1987 mit JurorInnen und PreisträgerInnen, eine Verbindungsstufe, Auswahl (rot markiert): Jury "Computer Music 1987"

 

Betrachten wir also im Folgenden überschaubare Teilansichten. Beschränkt man die Ansicht beispielsweise auf das Jahr 1987 und nur auf die direkten Verbindungen, so wird sichtbar, dass der Prix Ars Electronica in diesem Jahr in den drei Kategorien "Computermusik", "Computeranimation" und "Computergrafik" ausgeschrieben wurde. Zahlreiche Verbindungen bestehen zwischen den Jurys der Kategorien "Computergrafik" und "Computeranimation", da sieben Personen sowohl als Juror in der einen wie in der anderen Kategorie mitgewirkt haben. Wurde die Entscheidung in diesen Kategorien also von denselben Personen gefällt, zeichneten für die Entscheidung in der Kategorie dass Juroren in verschiedenen Kategorien mitgewirkt haben "Computermusik" fünf völlig andere Personen verantwortlich.[31]

 

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Abb. 10: Dietmar Offenhuber, Medienkunst als sozialer Prozess, Screenshot SemaSpace, Ansicht: Jurys 1987 mit JurorInnen und PreisträgerInnen 1987, zwei Verbindungsstufen, Auswahl (rot markiert): Herbert Franke

 

Erweitert man die Darstellungsoption der Verbindungen um einen Schritt, so dass auch die übrigen Verbindungen der Jurymitglieder des Jahres 1987 sichtbar werden, erkennt man, dass diese Personen später in zahlreichen weiteren Gremien mitgewirkt haben, die zumeist denselben oder verwandten Kategorien zuzuordnen sind. In der Netzwerkanalyse ordnet man solchen Akteuren ein hohes Maß an "centrality" zu. Stark vernetzten Personen kommt eine höhere Bedeutung im Netzwerk zu als solchen mit einem geringen Vernetzungsgrad.

 

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Abb. 11: Dietmar Offenhuber, Medienkunst als sozialer Prozess, Screenshot SemaSpace, Ansicht: Jurys 2009 mit JurorInnen und PreisträgerInnen, eine Verbindungsstufe, Labeloption radial, Auswahl: "results 2009"

 

Ganz anders das Bild im Jahr 2009: Die Zahl der Preiskategorien ist auf acht gestiegen, wobei es keine personellen Überschneidungen zwischen den Kategorien gibt. Zusammengehalten werden die verschiedenen Gremien nicht durch eine personelle Verbindung, sondern allein durch den Knoten "results 2009". Erst wenn man die über das Jahr 2009 hinaus gehenden Relationen der beteiligten Akteure einblendet, wird ein verzweigtes Netz sichtbar, das aber bei weitem nicht den Vernetzungsgrad des Netzwerks der Juroren des Jahres 1987 aufweist (vgl. Abb.12).

 

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Abb. 12: Dietmar Offenhuber, Medienkunst als sozialer Prozess, Screenshot SemaSpace, Ansicht: Jurys 2009 mit JurorInnen und PreisträgerInnen, zwei Verbindungsstufen, Auswahl: "results 2009"

 

Es zeigt sich, dass die Akteure des Prix Ars Electronica 2009 zwar ebenfalls über zahlreiche Verbindungen untereinander verfügen, jedoch ist das Team der Juroren wesentlich heterogener geworden. Einzig die Kategorie "U19 freestyle computing" bzw. "U19 cybergeneration freestyle computing" weist Personen mit vergleichbar hoher "centrality" auf, wie Sirikit Amann und Horst Hörtner. In den anderen Kategorien sind es Tomoe Moriyama und Golan Levin, die etwas stärker vernetzt sind als andere KünstlerInnen und JurorInnen der "traditionellen" Prixkategorien.

 

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Abb. 13: Dietmar Offenhuber, Medienkunst als sozialer Prozess, Screenshot SemaSpace, Ansicht: Golan Levin, zwei Verbindungsstufen, Cluster-Option deaktiviert, Auswahl:"Golan Levin"

 

Ein Perspektivwechsel, der die einzelne Person in den Fokus der Recherche stellt, macht die Rolle einzelner Akteure deutlicher. Golan Levin erhielt beispielsweise 2009 in der Kategorie "Interactive Art" eine Auszeichnung, nachdem er zuvor bereits verschiedene Auszeichnungen in folgenden Kategorien erhalten hatte: "Net Vision/Net Excellence" 2003, "Interactive Art" 2000, 2002, 2004, und er wirkte 2007 in der Jury der Kategorie "Hybrid Art" sowie 2005 in der Jury für "Net Vision" mit. Informationen über die Beteiligung einzelner Personen an Jurysitzungen und über die durch die Beteiligung entstehenden Verbindungen zu anderen Jurymitgliedern lassen sich besser erkennen, wenn das Netzwerk entlang einer Zeitachse dargestellt wird.[32] Diese Ansicht zeigt deutlich die Zunahme der Preiskategorien über die Jahre und stellt Personen mit hoher "centrality" in Form großer Quadrate und solche mit einem geringer durch kleine Quadrate dar.

Solche wichtigen Personen kann man identifizieren, indem man eine Ansicht wählt, die sich ausschließlich auf die Verbindung von Juroren zu Gremien beschränkt. Dietmar Offenhuber kommt aufgrund dieser Ansicht zu dem Schluss, dass manche Kategorien personell klar von anderen getrennt sind und dabei einzelne dominante Protagonisten aufweisen, während andere Kategorien durch einen höheren Vernetzungsgrad charaktirisiert sind und weniger von einzelnen Akteuren bestimmt werden.[33]

 

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Abb. 14: Dietmar Offenhuber, Medienkunst als sozialer Prozess, Screenshot SemaSpace, Ansicht: Mark Dippé, zwei Verbindungsstufen, Cluster-Option deaktiviert, Auswahl: "Mark Dippé"

 

Eine solch dominante Person ist beispielsweise für die Kategorie "Digital Musics" Naut Humon, der zehn Mal in der Jury der Musikkategorie des Prix Ars Electronica mitwirkte. Eine ebenfalls wichtige, wenngleich nicht so konkurrenzlose Rolle nahm Mark Dippé für die Kategorie "Computeranimation" (und ihre Nachfolger "Computeranimation/VFX/Film" bzw. "Computeranimation/Visual Effects") ein, bei denen er laut Visualisierung sechs Mal in der Jury mitwirkte (1991, 1995, 1998, 2000, 2006, 2007), sowie 1991 in der Jury der Kategorie "Computergraphik". Die Visualisierung zeigte zunächst nur, dass er selbst zudem zweimal mit einem Preis in der Kategorie "Computeranimation" (1992, 1994) ausgezeichnet wurde. Seine Verbindung zur Firma Industrial Light & Magic (ILM), bei der Mark Dippé arbeitete, kann aus der Visualisierung nicht herausgelesen werden. Ihre Produktionen wurden in den Jahren 1993, 1995 (zweimal), 1996, 1997 (zweimal) und 1998 ausgezeichnet, wobei Mark Dippé 1995 und 1998 als Juror an der Entscheidung beteiligt war. In der ersten Version der Visualisierung wurde ebenso wenig deutlich, dass er selbst an dem Film "Spawn" beteiligt war, der 1998 in der Kategorie "Computer Animation/Visual Effects" eine Auszeichnung erhielt.[34]

 

Während diese Information zwischenzeitlich im Datensatz der Visualisierung ergänzt wurde, können die Beziehungen zur Firma ILM nicht nachgetragen werden, da dies nur Sinn macht, wenn solche Beziehungen für alle Personen des Netzwerks recherchiert werden. Dieser Vorgang weist auf eine grundlegende Eigenschaft von Visualisierungen hin: Sie repräsentieren prinzipiell nur jene Informationen und Konstellationen, die in den Daten verankert sind, weshalb die Festlegung und der Aufbau des Datensatzes von zentraler Bedeutung ist. Lücken und Fehler in den Datensätzen sind nicht selten anzutreffen, insbesondere wenn es sich um "gewachsene" Datensätze handelt, die sich innerhalb von Arbeitsabläufen ansammeln und nicht gezielt erhoben werden. Häufig werden Inkonsistenzen oder Lücken erst offensichtlich, wenn Daten zu anderen Daten in Beziehung gesetzt oder eben visualisiert werden. Freilich kann dies auch als Indiz dafür gelesen werden kann, dass die Visualisierung tatsächlich die Wahrnehmung von Daten und damit den Zugang verbessert.

 

 

Datenlage und Visualisierung

Die Dokumentation der Einreichungen unterliegt seit der Gründung des Prix Ars Electronica 1987 einem technischen wie auch einem organisatorischen Wandel. Zu Beginn dokumentierten die mit der Durchführung des Preises betrauten MitarbeiterInnen des ORF das per Post eingereichte Material in Tabellen, mit der Konsequenz, dass in jedem Jahr die Namen der EinreicherInnen bzw. KünstlerInnen neu erfasst wurden. Dabei entstehen automatisch unterschiedliche Schreibweisen und es werden keine Relationen zu früheren Einreichungen hergestellt. Seit 2004 erfasst die Ars Electronica als Veranstalter alle Einreichungen in einer Online-Datenbank, so dass seit diesem Zeitpunkt die Datenerfassung einfacher ist, wobei auch im Online-Einreichtool in jedem Jahr die Namen der Personen neu eingegeben werden. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass sich über die Jahre auch die erfassten Angaben ändern. Wurde zu Beginn beispielsweise die Herkunft der Einreichung erfasst, wird heute nach Nationalität des Einreichers und dem Land der Entstehung des Projektes unterschieden. Im Hinblick auf die Visualisierung "X by Y" galt es beispielsweise zu entscheiden, wie Projekte gezählt werden, die in zwei Kategorien eingereicht oder in einer Kategorie eingereicht, jedoch in einer anderen ausgezeichnet wurden. Zur Herstellung eines einheitlichen Datensatzes aus den von der Ars Electronica und dem ORF bereitgestellten Informationen durch das LBI wurden beispielsweise die Schreibweisen von Personennamen vereinheitlicht, unterschiedliche Titel derselben Projekte sowie mehrfache Einreichungen derselben Person einander zugeordnet, Ländernamen vereinheitlicht sowie bis dato nicht digital erfasste Einreichungen ergänzt. Der so bearbeitete Datensatz bildet die Grundlage für die Diagramme von Moritz Stefaner. Dietmar Offenhuber konnte demgegenüber auf die Jurystatements im Online-Archiv der Ars Electronica zugreifen, in dem die genannten Abgleichprozesse bereits im Zusammenhang mit dem Aufbau der Online-Datenbank erfolgt sind.

 

 

Evidenz durch Visualisierung

Die vorgestellten Visualisierungen machen eine sehr große Menge Daten sichtbar, strukturieren und präsentieren sie mittels einer visuellen Syntax, die es erlaubt sie zu lesen. Informationsvisualisierungen sind nach Sybille Krämer operative Bilder, die nicht nur etwas darstellen, sondern darüber hinaus Räume eröffnen, "um das Dargestellte auch zu behandeln, zu beobachten, zu explorieren."[35] Folglich charakterisiert sie operative Bildlichkeit "nicht nur als ein Anschauungsmedium sondern auch als Werkzeug und ‚Reflexionsinstrument'".[36]

Dabei wird jedoch die vom Betrachter zu erbringende Konstitutionsleistung durch verschiedene Faktoren determiniert bzw. gelenkt. Dies geschieht, wie bereits dargestellt, durch den Datensatz und durch die Formalisierung der visuellen Syntax. Darüber hinaus ist in der Visualisierung von Dietmar Offenhuber auch das gewählte Modell des "Netzwerkes" relevant, das er als soziales System interpretiert. Die Visualisierung aktiviert beim Betrachter das Konzept, dass die Interaktion der Akteure – sei es als direkte persönliche Kommunikation in der Jurysitzung oder als indirekte Kommunikation in Form der Auszeichnung der PreisträgerInnen – Verbindungen herstellt, die ein Netzwerk konstituieren. Das Netzwerk ist also nicht per se existent, sondern wird in dieser Form erst durch die Visualisierung geschaffen und zwar zu dem Zweck, Aussagen zu generieren.

In der Systemtheorie meint Vernetzung "die wechselseitige Verknüpfung und Beeinflussung eines komplexen Systems"[37]. Dargestellt wird also ein Beziehungsgeflecht jenseits potentieller Machtgefälle oder ungleich verteilter Handlungsspielräume. Das dem Verhältnis Juror/Preisträger innewohnende Machtgefälle bleibt allein durch das gewählte Modell bereits ausgeblendet. Zudem sind Netze keine in sich geschlossenen Welten, sondern sie haben eine Außenwelt, die selbst wieder ein Netz darstellt. In vorliegenden Fall bleiben die sozialen Beziehungen der Akteure jenseits ihrer Rolle im Prix Ars Electronica außen vor, das heißt konkret, dass die Beteiligung der einzelnen Akteure an denselben Produktionen, Projekten oder Institutionen, die gemeinsame Ausbildung oder Freundschaften durch die in der Darstellung hergestellte visuelle Faktizität der Beziehungen ausgeblendet wird – kurz: was nicht zu sehen ist, scheint nicht existent zu sein. Ebenfalls außen vor bleiben die Veranstalter selbst, die über die Besetzung der Gremien entscheiden und damit einen wesentlichen Einfluss auf das Netzwerk der JurorInnen ausüben.

Formalisieren und Weglassen sind notwendige Prozesse bei der Gestaltung von Visualisierungen, um zu einer konsistenten, lesbaren Darstellung zu gelangen. Das dabei Verborgene bleibt jedoch nicht ohne Auswirkung auf die mit der Visualisierung erzeugte Aussage. Am Beispiel der farblichen Kodierung der Kategorien in der Visualisierung "X by Y" wurde diese Problematik aufgezeigt. Eine alternative Vorgehensweise zu entwickeln ist jedoch nicht primär eine Frage des Designprozesses. Die Definition von Gestaltungsparametern sollte inhaltlich motiviert sein, wie auch die Entscheidung für eine Metapher eigentlich nicht vornehmlich eine gestalterische sondern eine inhaltliche ist.

Obwohl hier das Potential von Informationsvisualisierung nur exemplarisch aufgezeigt werden konnte, wurde deutlich, dass es ein hilfreiches Instrument sein kann, um beispielsweise wichtige Akteure, Tendenzen und Entwicklungen zu identifizieren und/oder zu vermitteln. Da ihre Aussagen jedoch eng mit dem zugrundeliegenden Datenmaterial und den gestalterischen Entscheidungen verbunden sind, müssen bei der Nutzung von Visualisierungen im Kontext geisteswissenschaftlicher Forschung diese Elemente sorgfältig im Hinblick darauf geprüft werden, inwieweit sie geeignet sind, das forschende Erkenntnisinteresse zu unterstützen. Die Definition der Forschungsfrage, die Auswahl und Erhebung der zur Untersuchung geeigneten Daten sowie die Festlegung der visuellen Syntax müssen eng ineinandergreifen, wenn kulturanalytische Forschungsansätze neue Perspektiven auf kulturelle Prozesse und Produktionen ermöglichen wollen.

 

 

* Hinweis zu den Abbildungen

Bei den hier gezeigten Abbildungen handelt es sich um Screenshots, für die Ausschnitte gewählt wurden, die bestimmte Ansichten und Konstellationen zeigen. Leider sind dabei manche Details und die Labels schlecht erkennbar. Zur besseren Lesbarkeit empfiehlt es sich daher, die Visualisierung auf den eigenen Computer herunterzuladen und die jeweils in der Bildunterschrift angegebenen Einstellungen zu wählen. Sie können die Ansicht dann so verändern und hineinzoomen, dass die Details besser erkennbar sind. Download SemaSpace vom Visualization Showcase des LBI Media. Art. Research:

http://vis.mediaartresearch.at/webarchive/jws/semaJury.jnlp

 

 

 

[5] http://www.medienkunstnetz.de/works/expanded-arts-diagram/ Weitere Diagramme Maciunas sind veröffentlicht in: Schmidt-Burkhardt, Astrid: Maciunas' Learning Machines. From Art History to Chronology of Fluxus. Berlin 2003; zugl. Katalog zur Ausstellung "Maciunas' Learning Machines": From Art History to Chronology of Fluxus." Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, 31. Oktober 2003 bis 11. Januar 2004. Darin Abb. 1, S. 116: "Expanded Arts Diagram".

[6] Abb. In: "Vom Verschwinden der Ferne. Telekommunikation und Kunst", Publikation zur Ausstellung im Deutschen Postmuseum, Frankfurt am Main, 2. Oktober 1990 bis 13. Januar 1991, Farbtafel 4.

[7] Als Merkmale für die automatische Analyse von Bildern nennt Lev Manovic Graustufen, Farbcharakteristika, die Ausrichtung der Zeilen und die Komposition. Neben der automatischen Strukturanalyse strebt er auch eine Inhaltanalyse an, die jedoch, wie er selbst anmerkt, bis dato nicht sehr weit entwickelt ist. Vgl.: Lev Manovich. "Auf den Spuren der globalen digitalen Kulturen. Kulturanalytik für Anfänger." In: Stalder, Felix / Becker, Konrad (Hg.): Deep Search. Politik des Suchens jenseits von Google. Innsbruck, Wien, Bozen 2009, S. 221-236, hier S. 233.

[8] Informationen zu diesem Ansatz finden sich auch auf der Website des von Lev Manovic geleiteten Forschungslabors an der University of California in San Diego http://lab.softwarestudies.com/2008/09/cultural-analytics.html

[9] Die Forschungslinie bestand von Januar 2008 bis Dezember 2009; für mehr Information siehe: http://media.lbg.ac.at/de/content.php?iMenuID=1&iContentID=60 sowie http://vis.mediaartresearch.at/webarchive/public/view/mid:1

[10] Die Ausführungen beziehen sich auf den Zeitraum seit der Gründung des Prix Ars Electronica im Jahr 1987 bis 2009, dem Entstehungsjahr der vorgestellten Informationsvisualisierungen.

11] Dies gilt nicht für den Media Art.Research.Award, [the next idea] und den voestalpine Art and Technology Grant.

[12] Gerfried Stocker: "The Ars Electronica Archive. A Work in Progress." In: Gerfried Stocker und Christine Schöpf (Hg.): Human Nature. Ars Electronica 2009. Festival für Kunst Technologie und Gesellschaft. Ostfildern 2009, S. 282-283.

[13] Barbara U. Schmidt untersuchte die Entwicklung der Ars Electronica im Rahmen ihres Forschungsprojektes "Betriebssystem Ars Electronica" am Ludwig Boltzmann Institut Medien. Kunst. Forschung. in Linz. Einblick in ihre diskursanalytische Untersuchung bietet ihr Artikel "Institutionelle Verortung der Medienkunst, ihre Funktionen und ihre Widersprüche." In: kunsttexte.de, Nr. 1, 2010, http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/2010-1/schmidt-barbara-u.-5/PDF/schmidt.pdf (18.11.2010)

[14] Bei der Fibonacci-Folge ergibt sich die jeweils folgende Zahl, indem man die beiden vorhergehenden Zahlen addiert (0.1.1.2.3.5.8.12 ,,,). http://de.wikipedia.org/wiki/Fibonacci-Folge (16.08.2010)

[15] Die Differenz zwischen der Gesamtmenge der in der Datenbank des LBI erfassten Einreichungen und der von Gerfried Stocker genannten Zahl ist auf unterschiedliche Erhebungskriterien zurückzuführen: Im historisch gewachsenen Archiv der Ars Electronica sind Projekte zum Teil in mehreren Kategorien registriert, wenn sie beispielsweise bei mehreren Juryverfahren zugelassen waren. Hingegen führte die Datenbank des LBI jede Einreichung pro Jahr nur einmal.

[16] Vgl. Chen, Chun-houh / Härdle, Wolfgang / Unwin, Antony (Hg.): Handbook of Data Visualization. Berlin, Heidelberg: Springer, S. 5.

[17] "Das Hinzukommen von JAVA, Castranet, Real Audio, Shockwave, VDO, MUDs und anderer Internet-spezifischer Anwendungen verdeutlicht den rapiden Wandel des Mediums Internet. Dieser Wandel erfordert eine Neudefinition der Kategorie, die Erweiterung hin zur .net Kategorie, und er erfordert die Weiterführung der Grundsatzdiskussion, die der Prix Ars Electronica 1995 begonnen hat." Aus: Österreichischer Rundfunk, Landesstudio Oberösterreich (Hg.): Prix Ars Electronica 97. Teilnahmebedingungen. Redaktion von Christine Schöpf, Linz 1997, S. 6. (Archiv der Ars Electronica, Signatur: LBI AE 1997-12).

[18] "Diese Kategorie ist offen für sämtliche künstlerisch-kulturellen Aktivitäten im Internet, z.B. Web-Sites, MUDs, etc." Ebenda, S. 7.

[19] Das Spektrum möglicher Einreichungen umfasste Kunst und Kultur, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Unterhaltung, Medien, Wissenschaften, Technologie. Vgl: Austrian Broadcast Corporation, ORF Upper Austria, Regional Studio (Hg.): International Competition for Cyberarts. Prix Ars Electronica. Competition Regulations. Linz 2001, S. 6 (Archiv der Ars Electronica LBI AE 2001-2).

[20] "Net Vision distinguishes projects that are striking in their anticipative an innovative way of dealing with the online medium. Net Excellence distinguishes projects that are compelling because of the originality of their content and creative use of state-of-the-art applications." Ebenda.

[21] "Kennzeichen der hier angesprochenen Digital Communities ist, dass sie dazu beitragen, das Leben der Menschen weltweit unter Nutzung digitaler und vernetzter Technologien zu verbessern. Die Verringerung des Digital Divide, die Förderung von "Emergent Democracy" und die Befähigung der Menschen, ihre Rechte und Freiheiten wahrzunehmen, gehören zu den Zielen, die hier angestrebt werden." Aus: Online-Einreichtool zum Prix Ars Electronica 2004, Archiv der Ars Electronica.

[22] "Der Wettbewerb ist für Computermusik (digital/analog) ausgeschrieben. Die Arbeiten müssen grundsätzlich digital produziert werden, können aber mit analogen Aufnahmetechniken vervollständigt und mit natürlichen Instrumenten oder Stimmen komponiert sein. Dauer: 8 bis 20 Minuten. Bei der Ausschreibung wird bewußt auf Unterkategorien der Hardware verzichtet, z.B. Großrechner und PC. Kriterien der Beurteilung sind ausschließlich künstlerische Kriterien: Originalität und Kreativität. Bewußt wird auch kein Unterschied zwischen sogenannten U- und E-Kategorien gezogen." Österreichischer Rundfunk (ORF), Landesstudio Oberösterreich (Hg.): Ars Electronica. Computerkulturtage Linz. Prix Ars Electronica 87. Typoscript, Linz 1987, S. 5. (Archiv Ars Electronica, Signatur: LBI AE 1987-5).

[23] "Wesentliche Teile der Komposition müssen digital komponiert worden sein. Ergänzende Verwendung von analogen Techniken wie z.B. die Verwendung von Instrumenten und Stimmen etc. sind möglich. Die Anzahl der Stimmen sollte allerdings eine kleine kammermusikalische Besetzung nicht überschreiten. Pro Teilnehmer ist eine Arbeit, die innerhalb der letzten drei Jahre entstanden sein muß, zugelassen. Die Kriterien für die Jury sind der künstlerische und innovative Umgang mit dem Medium Computer. Alle Stücke müssen auf DAT eingereicht werden." In: Österreichischer Rundfunk (ORF), Landesstudio Oberösterreich: Prix Ars Electronica 96. Wettbewerbsbedingungen. Red. v. Christine Schöpf. Linz 1996, S.11. (Archiv Ars Electronica, Signatur: LBI AE 1996-10).

[24] Aus: Österreichischer Rundfunk, Landesstudio Oberösterreich (Hg.): Prix Ars Electronica 97. Teilnahmebedingungen. Redaktion von Christine Schöpf, Linz 1997, S. 13. ( Archiv der Ars Electronica, Signatur: LBI AE 1997-12).

[25] Sema Space ist eine Entwicklung von Dietmar Offenhuber und Gerhard Dirmoser. Informationen und Download-Möglichkeit vgl. http://vis.mediaartresearch.at/webarchive/public/view/mid:10 (16.08.2010)

[26] Zur Charakterisierung explorativer Grafiken vgl.: Chen, Chun-houh / Härdle, Wolfgang / Unwin, Antony: Handbook of Data Visualization. Berlin, Heidelberg 2008. S. 5.

[28] "It's interesting to note that this network is a single, contiguous, unitary affair and, for instance, does not break up into various sub-networks corresponding to the Prix categories. This means that there have been no jury sessions (with one single exception) without overlapping personnel with respect to a prior jury and, of considerably greater importance, that various individuals served as jurors in different categories over the years. This is an insight that becomes immediately evident when we examine the network visualization, but would have been much less obvious if the material had been considered on a textual basis only." In: Offenhuber, Dietmar: Medienkunst als sozialer Prozess. Online: http://vis.mediaartresearch.at/webarchive/public/view/mid:6 (06.11.2010)

[29] Eine ausführliche Dokumentation der Navigations-, Selektions- und Darstellungsoptionen findet sich unter: http://vis.mediaartresearch.at/webarchive/public/view/mid:25 (06.11.2010)

[30] Eine Suche oder bereits vorgenommene Selektion kann durch die Aktivierung der Checkbox "add" mit einem weiteren Suchbegriff kombiniert werden.

[31] Die einzige Verbindung zu dieser Kategorie wird nicht über eine Person sondern über einen Knoten mit dem Namen "results 1987" hergestellt.

[32] Die zeitbasierte Darstellung lässt sich nicht mit den Funktionalitäten der zum Download bereitgestellten Anwendung erzeugen. Offenhuber stellt zwei Screenshots bereit, die sich auf die an allen Gremien beteiligten Juroren beschränken. Der eine Screenshot zeigt die Beteiligung von William Buxton, der andere die von Joichi Ito. Die ausgewählte Person ist jeweils rot markiert, während die in den Jurys außer diesen Personen Beteiligten, grün dargestellt sind. http://vis.mediaartresearch.at/webarchive/images/projects/semaspace_jury/4-timeline_buxtion.png und http://vis.mediaartresearch.at/webarchive/images/projects/semaspace_jury/4-timeline_buxtion.png (02.02.2010)

[33] "The network visualization also shows that some categories are clearly delimited from the others and are dominated by key protagonists, whereas others are more strongly interwoven and do not seem to have core personnel." Offenhuber, Dietmar: "Media Art as Social Process" http://vis.mediaartresearch.at/webarchive/public/view/mid:6 (02.03.2010)

[34] Das Online-Archiv der Ars Electronica weist in der Beschreibung des Filmes "Spawn" Mark Dippé neben Dennis Muren und Steve Williams als einen der Urheber aus. http://90.146.8.18/de/archives/prix_archive/prix_projekt.asp?iProjectID=2446 (02.03.2010); Im Katalog bleibt sein Name hingegen unerwähnt. Vgl. Cyperarts98. International Compendium Prix Ars Electronica. Hg.v. Christine Schöpf, Hannes Leopoldeder. Wien, New York 1998, S. 128-131. Die Internet Movie Database nennt Mark A.Z. Dippé als Regisseur des Films. http://www.imdb.de/title/tt0120177/ (06.11.2010). Diese Auszeichnung ist in der aktuellen Version der Visualisierung nachgetragen.

[35] Krämer, Sybille: "Operativer Bildlichkeit. Von der ,Grammatologie' zu einer ,Diagrammatologie'? Reflexionen über erkennendes ,Sehen'." In: Heßler, Martina / Mersch (Dieter (Hg.): Logik des Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft; Bielefeld 2009, S. 94–122, Zitat S. 104

[36] Ebenda.

[37] Böhme, Hartmut: "Netzwerke. Zur Theorie und Geschichte einer Konstruktion." Zuerst erschienen in: Barkhoff, Jürgen / Böhme, Hartmut / Riou, Jeanne (Hg.):, Netzwerke. Eine Kulturtechnik der Moderne, Köln 2004, S. 17-36. Online: http://www.netzeundnetzwerke.de/files/boehme_netzwerke.pdf (02.03.2010), Zitat: Online-Version S. 3.