Revue und Recherche: Jade Montserrats Performance „Shadowing Josephine“ (2013)

Ulrike Hanstein (Köln)

 

 

 

Lebenskunst und Live Art

Die amerikanische Soziologin Bennetta Jules-Rosette hat mit ihrer Studie Josephine Baker in Art and Life: The Icon and the Image nicht nur eine Biografie verfasst. In ihrem Text stellt Jules-Rosette weitreichende Verknüpfungen zwischen überlieferten Selbstberichten, zeitgeschichtlichen Dokumenten, Ephemera, Tonaufzeichnungen, Fotografien, Filmen, Schauräumen der Unterhaltung und populärkulturellen Objekten her. Durch ihre Materialanordnungen legt Jules-Rosette die Arbeit offen, die Baker selbst kontinuierlich leistete, um Lebensformen und Lebensgeschichte, star image und Aufführungspraktiken, Mode und Selbst-Musealisierung, Aktivismus und Werbung auf eine bedeutungsstiftende Abfolge von Ereignissen und Handlungen auszurichten. Durch schöpferische und redigierende Verfahren formte Baker entscheidend die Bilder, Erzählungen und audiovisuellen Formen, die über das einzelne Leben hinaus als verdinglichte Aufzeichnungen dieses Lebens Bestand haben. Jules-Rosette zeigt, dass Performances eine herausragende Bedeutung in Bakers Arbeit an ihrer eigensinnigen Selbstpräsentation und zukunftsorientierten Selbstdokumentation zukommt. ‚Performance‘ bezeichnet in diesem Zusammenhang ein verkörpertes Handeln, eine aufführungsgebundene Bedeutungsproduktion und eine theatralisierte Selbstdarstellung, die das persönliche und öffentliche Leben von Baker miteinander verknüpft.[1] Jules-Rosette führt dazu aus:

 

Later in life, Baker used her own image and ironic sense of the camp, the cliché, and the retro to encode more new messages. This was part of what she called ‚doing Joséphine‘. Baker’s life in review allows us to see how an individual epitomizes her era, and how life and the art of performance mirror each other in the production of new cultural forms. [Jules-Rosette 2007: 285]

 

Die von Jules-Rosette zitierte Selbstaussage kann dazu beitragen, die Übergänge und Unterschiede zwischen Bakers Lebenskunst und Aufführungskunst genauer zu verstehen. Mit dem Ausdruck ‚doing Joséphine‘ bringt Baker sich selbst als sprechende Person auf Abstand zu ‚Joséphine‘. ‚Doing Joséphine‘ bedeutet offenbar ein wiedererkennbares, durch Aufführungen geformtes, expressives Verhalten als eine bestimmte Weise des Herstellens zu denken und als Arbeit zu begreifen. Wie lässt sich ‚Joséphine‘ (die Tänzerin, die Sängerin, die performance persona, der erste internationale Black female superstar) als ein ‚doing‘ verstehen, als wiederholbare Ausführung von konkreten physischen Aktionen? Auf welchen Bühnen und in welchen kulturellen Settings wird ‚doing Joséphine‘ zu einem gelingenden Tun? Welches undoing, welches othering und welche selbstbestimmten Verkleidungen von Subjektivität strukturieren Bakers Performances von ‚Joséphine‘?[2]

Jules-Rosette diskutiert Bakers verkörperte Aufführungen als theatrale, jedoch weit über den Bezugshorizont von Vaudeville, Revue und Film hinausreichende Bewegungsformen. Im Verbund mit medientechnischen Verfahren erfindet Bakers tanzender und singender Körper radikal neue Artikulationsweisen und spektakuläre Praktiken der audiovisuellen Unterhaltungskultur.[3] Jules-Rosette verdeutlicht den produktiven Zusammenhang zwischen Bakers expansivem Performance-Modus, ihrer dokumentierten Biografie und ihrem (Nach-)Leben.[4]

Im Folgenden soll es um die Überlieferung von Bakers Performances gehen und um die Möglichkeiten von gegenwärtigen Performances als Praktiken der Überlieferung.[5] Dafür möchte ich Shadowing Josephine, eine Performance der britischen Künstlerin Jade Montserrat, genauer betrachten. Shadowing Josephine basiert auf einer zweiminütigen Bewegungssequenz. Die choreografische Bewegungsfolge wurde – durch eine beharrlich wiederholte Ausführung geloopt – als durational performance gezeigt. Seit 2013 hat Montserrat Versionen der Performance mit unterschiedlicher Dauer in Kunst- und Theaterräumen aufgeführt. Shadowing Josephine ist Teil eines größeren Zusammenhangs von Arbeiten, in denen sich Montserrat eingehend mit Bakers experimentellem Bewegungsrepertoire befasst. Montserrats Annäherungen werden getragen von ihrem Interesse an Bakers Performances, an ihren aktivistischen Gesten des Protests und an ihrer anti-rassistischen Familienutopie. Als Rainbow Tribe bezeichnete Baker ihre durch internationale Adoptionen von Kleinkindern zusammengeschlossene Großfamilie, die sie als gemeinschaftliche Lebensform und als zukunftsorientiertes Erziehungsprojekt öffentlich inszenierte.

Montserrats Recherchen zu Baker gewinnen eine Form in Zeichnungen, Installationen, aufgabenbasierten Performances, Videos und partizipativen Projekten. Die verschiedene Materialien und Öffentlichkeiten verknüpfende Annäherung an Baker ist ein künstlerisches PhD-Projekt. Entsprechend sind Montserrats Performances als ästhetisch forschende Aktivität und verkörperte Wissenspraxis näher zu beschreiben. Institutionell sind sie als ‚Qualifikationsarbeit‘ gerahmt.[6] Shadowing Josephine ist ein künstlerischer Forschungsprozess, in dem Performances vor und für Zuschauer*innen die gewählten Verfahren des annähernden Nachvollzugs, der aufweisenden Erkundung und der situierten Dokumentation sind. An Montserrats Arbeitsweise möchte ich verdeutlichen, wie in der gegenwärtigen Live Art durch das verkörperte Handeln, Wahrnehmen und Erkennen in einer spezifischen Performance-Situation die Auseinandersetzung mit Performance-Geschichte als ästhetisches und aktivistisches Projekt entworfen wird.

 

Familie fabulieren: The Rainbow Tribe

Unter dem Titel The Rainbow Tribe hat Montserrat unterschiedliche Performance-Anordnungen zusammengefasst, die ihre Recherchen zu Baker in physischen Aktionen vergegenwärtigen. Montserrat legt in einem veröffentlichten Text offen, dass ihre Beschäftigung mit Baker von Empathie für deren emanzipatorische Erfindungskraft getragen sei. Zu ihren Beweggründen schreibt Montserrat:

 

The Rainbow Tribe offers a re-imagining of a real life fiction projected on and from the career and life of Josephine Baker, born in St. Louis in 1906. This re-imagining mirrors Josephine Baker’s talent for portraying her life as a fairytale. Baker’s enigmatic presentation also included misleading accounts of her patrilineage and religious affiliation. [Montserrat 2017: 100]

 

Die fabulierten Herkunfts- und Familiengeschichten von Baker erscheinen als zuweilen notwendige, zuweilen selbstgewählte Konstruktionen von Opazität.[7] Die wechselnden und widersprüchlichen Selbstberichte können nicht mit Auffassungen einer beständigen, kulturellen oder amtlich-bürokratischen Identität zur Deckung kommen. Matthew Pratt Guterl spricht in seiner kulturhistorischen Studie zum Rainbow Tribe Bakers eigensinnigen kosmopolitischen Selbstentwurf an: „She repeatedly resisted conventional racial and national markers, claiming an indigenous heritage, enthusing over mixture and hybridity, and fashioning an identity as a woman without a single country, a slippery cosmopolitism that has obscured her life.“ [Pratt Guterl 2014: 7] Pratt Guterl zieht Verbindungslinien zwischen Bakers fluiden Selbstverortungen, ihrem politischen Aktivismus sowie ihrer sorgsamen Einrichtung des Schauplatzes und ihrer Zusammenstellung des Ensembles für ihre dörflich-globale Familienvision. [Pratt Guterl 2014: 22 ff]

Ab 1954 adoptierte Baker gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann, dem Musiker Jo Bouillon, 12 Kleinkinder von unterschiedlichen Kontinenten und lebte mit ihnen in Südfrankreich auf ihrem zum touristischen Themenpark ausgebauten Anwesen Les Milandes. Die nicht verwandte, durch familiäre Fürsorgebeziehungen gefestigte Gemeinschaft sollte demonstrieren, dass rassistische Gewaltstrukturen durch Erziehung zur ‚Brüderlichkeit‘ überwunden werden können. The Rainbow Tribe war der von Baker gewählte Name für diese verkörperte, pressewirksam inszenierte, anti-rassistische Utopie. Sie verwendete den Regenbogen als Symbol für die vorurteilsfreie, gleichberechtigte Gemeinschaft ethnisch und kulturell verschiedener Personen. Die Wahl dieses Zeichens – das Nebeneinander unterschiedlicher Farbstreifen –, fügt sich in Diskurse ihrer Zeit, die race über die Sichtbarkeit der Haut als Differenz organisierten.

In seiner Studie verortet Pratt Guterl Bakers Arbeit an ihrem Adoptionsprojekt im zeitgeschichtlichen Kontext des Kalten Krieges, der staatenübergreifenden Friedensbewegung sowie der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Neben globalen Ideen zur Abschaffung nationalistischer und rassistischer Strukturen führt Pratt Guterl auch eine kleiner dimensionierte Erklärung an: The Rainbow Tribe trage zu Bakers planvoll arrangiertem Comeback als Künstlerin nach dem Zweiten Weltkrieg bei. Das Familienprojekt sei ein aufrichtiges politisches Statement und zugleich eine wirkungsvolle Kampagne in Bakers Selbstinszenierung als Star einer westeuropäisch-nordamerikanischen celebrity culture. Pratt Guterl geht so weit, die öffentliche Schaustellung der durch die Adoptionen geformten persönlich-emotionalen Bindungen als Revue zu beschreiben: „The specific form of the family—apostolic in scale, variegated in skin tone, global in orientation—required a careful construction. This would be a theatrical revue in miniature.“ [Pratt Guterl 2014: 88]

Pratt Guterl entfaltet die Ambivalenzen von Bakers überspanntem und radikalem, wirkmächtigem und verstörendem Konzept.[8] Er weist auf das Paradox im Herzen dieser privat-politischen Protestform hin. In Fotografien und in den von Baker und Bouillon verfertigten Berichten über die adoptierten Kinder werden sichtbare körperliche Unterschiede und individuelle Temperamente immer wieder herausgestellt. Ein rassifizierendes typecasting und performative Einschreibungen ethnischer Differenz liegen der unbändigen Produktion von Bildern zugrunde, die eine solidarische multikulturelle Gemeinschaft der Zukunft evozieren und realisieren sollen. [vgl. Pratt Guterl 2014: 4, 88 ff]

Montserrat bezieht sich mit ihren Arbeiten auf das Symbol des Regenbogens, setzt es jedoch von der bei Baker bestimmenden Beziehung zu einem ‚epidermischen Schema‘ ab.[9] Stattdessen deutet Montserrat den Regenbogen als „a universal symbol of hope, acceptance, and freedom“. [Montserrat 2017: 98] Sie verstärkt die Assoziation mit der heute geläufigen Bedeutung der Regenbogenflagge, die queere Subjektivitäten und die Vielzahl möglicher solidarischer Bindungen denotiert.[10]

 

Sich in Beziehung setzen: Shadowing Josephine

Die Performance Shadowing Josephine wurde erstmals 2013 beim Kunstfestival The Art Party Conference in Scarborough gezeigt. Videodokumentationen von mehreren Aufführungen der Performance stellt Montserrat in Auszügen auf ihrer persönlichen Webseite und auf der Plattform Vimeo bereit.[9] Bei einer vergleichenden Sichtung der zugänglichen fünf Dokumentationen von Shadowing Josephine erschließen sich unmittelbar die Unterschiede der Versionen: Bei den Aufführungen trägt Montserrat einmal ein Kostüm, bei anderen ist sie nackt. Es gibt Variationen in der Choreografie und die Anmutung der Räume verweist auf unterschiedliche Kontexte der Aufführungen. Neben den sichtbaren Einzelheiten, in denen die Realisierungen der Performance voneinander abweichen, rücken beim Betrachten auch die jeweiligen Besonderheiten der Dokumentationen in den Vordergrund. Die Produktionssituation (z. B. die Lichtverhältnisse) und technisch-formale Entscheidungen bei der Aufzeichnung wie der gewählte Abstand der Kamera zur Performerin oder die Einstellungsdauer werden bemerkbar. Auf der Webseite gibt es einen kurzen, mit einem unruhig gehaltenen Smartphone aufgenommenen Videoclip. Die Bilder vermitteln die impulsive Erlebnisperspektive einer Zuschauerin der Performance. Andere Dokumentationen wurden mit einer statischen Kamera aufgezeichnet. Diese Videos formen aufgrund der gleichbleibenden Ansicht eines Raumausschnitts und aufgrund von Einstellungsgrößen, die alle Bewegungssequenzen der Performerin rahmen, distanzierte Sichtweisen aus. Durch die Online-Präsentation der Videos werden nicht nur einzelne Fassungen in einem längeren Entwicklungs- und Aufführungsprozess der Performance archiviert. Auch verschiedene Verfahren der audiovisuellen Dokumentation sind als ein zweiter, auf die Performance-Aktivitäten ausgerichteter und sie begleitender Arbeitsprozess für Betrachter*innen einsehbar.

Im Folgenden möchte ich ein Video von Shadowing Josephine ausführlicher kommentieren, das am 3. November 2017 in der Galerie Norbert Arns in Köln produziert wurde. Die Performance wurde von Montserrat ohne Publikum aufgeführt. Das zwanzigminütige Video wurde von David Wesemann aufgenommen und montiert.[11] Bei der Ausstellung Jade Montserrat: Rainbow Tribe: Programme Review (1. Dezember 2017–27. Januar 2018) wurde das Video in demselben Galerieraum, in dem es aufgenommen wurde, als großformatige Projektion mit Ton gezeigt.

Mit einer raschen Aufblende setzt das Bild ein: In einer Halbtotale ist in seiner gesamten Breite ein hoher weißer Galerieraum zu sehen. Im Hintergrund, in der linken Ecke des sichtbaren Raumes, steht die Performerin. Sie ist nackt. Ihr Körper ist der Kamera zugewandt. Sie blickt konzentriert. Der Raum weist nur wenige einprägsame Besonderheiten auf – ein dunkelgrauer Boden, links die gleichmäßig dicht aufgereihten Falten eines Vorhangs, an der Rückwand zwei Steckdosen. Das ist alles.

Musik ertönt: In der Dynamik zurückgenommen setzen Bass und Schlagzeug ein, nach vier Takten kommen Saxophone hinzu, nach weiteren vier Takten setzen Trompeten und Posaunen ein. Zu hören ist Pickin’ the Cabbage, ein knapp dreiminütiges Stück, das Dizzie Gillespie komponierte und mit Cab Calloway und seiner Band aufnahm. Bei der Schallplattenveröffentlichung 1940 war das Stück im 4/4 Takt als ‚Fox Trot‘ ausgewiesen. Pickin’ the Cabbage enthält ein Solo von Gillespie.

Die eingespielte Musik füllt den leeren sichtbaren Raum unmittelbar mit lebhaften bildlichen Assoziationen – Jazz Age, Moderne, Nachtklubs, amerikanische Großstadt, Glanz von Messing, Ensemble einer Big Band, excentric dance... Die Musik legt eine heitere, nostalgische und zugleich rhythmisch vorwärtsdrängende Stimmung über den White Cube. Die eingängige Melodie, die Instrumentierung und die Klangqualität der Aufnahme verweisen auf eine vergangene Zeit und auf einen spezifischen musikkulturellen Bezugsrahmen.[12]

Mit vorgeneigtem Oberkörper, weit neben dem Körper ausgreifenden Armen und großen, in den Knien gebeugten, lauernden Schritten bewegt sich die Performerin in die Mitte des Raumes und an die Kamera heran. Im Gehen sinkt ihr Körper immer weiter zum Boden, bis sie ihn schließlich auf den Knien, Schienbeinen und Händen voranschiebt. Mit einer halben Drehung des Körpers erreicht sie eine sitzende Position. Sie stützt sich hinter dem Rücken mit den Armen auf dem Boden ab und hebt die Unterschenkel mit ausgestreckten Fußspitzen nacheinander flatternd in die Luft. Dann dreht sie sich am Boden um, bis sie mit den Hüften auf dem Boden liegt und hält den Oberkörper aufgerichtet. Nach drei Wiederholungen dieser Abfolge stützt sie sich mit den Händen auf den Boden. Ihr Oberkörper zeigt zum Boden, mit einem leichten Hüpfen hebt sie ihr linkes Bein hinter dem Körper in die Luft. Dann trippelt sie in raschem Tempo auf den Fußballen auf der Stelle und richtet den Oberkörper mit kreisenden Bewegungen der Arme auf. Das schnelle Schütteln erfasst den ganzen Körper, der durch diesen Rhythmus aus der Balance zu geraten scheint. Der Körper gerät in Schieflagen, die Knie werden einwärts und auswärts gedreht, der Oberkörper wankt vor und rückwärts, die Arme kreisen neben und vor dem Körper. Schließlich steht die Performerin en face zur Kamera. Sie stellt ihr rechtes Bein für einen Schritt zur Seite aus. Mit der Gewichtsverlagerung auf das Bein überkreuzt sie die Arme vor dem Körper und klatscht mit den Händen auf ihre Hüften. Dann streckt sie ihre Arme über dem Kopf aus und hält für einen Moment diese aufgerichtete Pose. Es folgen wiegende, die Bewegung der Hüfte akzentuierende Schritte und Drehungen um die eigene Achse. Ein Zurückschieben der Hüften scheint dann den Bewegungsimpuls zu geben für gleitende Rückwärtsschritte im Raum. Ein Kreisen der Hüfte geht in ein schnelles Schütteln der Unterarme und Beine und schließlich in aufstampfende Drehungen über. Eine Charleston-Schrittfolge schließt sich an, die Unterarme kreisen dabei vor dem Körper. Die eigensinnig beweglichen, rotierenden Unterarme scheinen dann den Körper zu Schritten auf der Stelle mitzureißen. Nach einem kurzen Innehalten mit zu den Seiten ausgestreckten Armen und einer Drehung folgen froschartige Sprünge: Die Performerin hüpft mit beiden Beinen und landet mit lautem Geräusch, beim Aufkommen legt sie ihre Hände mit abgewinkelten Handflächen unter das Kinn und bläst die Wangen auf. Darauf folgt ein schnelles Aus- und Einwärtsdrehen ihrer gebeugten Knie, bei dem die auf die Knie gelegten und zwischen beiden Knien hin- und herwechselnden Hände den Eindruck erwecken, dass die Beine aneinander vorbeiglitten und ihre Plätze tauschten. Einige parodistisch promenierende, in den Raum ausgreifende Schritte schließen an. Sie beginnen jeweils mit einem weit vorgestreckten Bein. Nach zwei ganzen Drehungen und rückwärts gleitenden Schritten läuft die Performerin mit kleinen Schritten – die Arme hält sie ausgestreckt neben dem Körper, ihre Handflächen zeigen abgewinkelt vom Unterarm zum Boden – in die linke Ecke des Raumes zurück, auf die Position, von der aus sie ihren Tanz begann.

Nach einem kurzen Moment Stille setzt Pickin’ the Cabbage erneut ein. Auch die Performerin setzt sich wieder in Bewegung. Sie wiederholt die Choreografie im Weiteren abwechselnd in einer kurzen und in der oben beschriebenen Langversion. Der 4/4 Takt und die klare Struktur des Musikstücks unterstützen die Ausführung der Choreografie, auch dann, wenn die Bewegungen der Performerin aus Erschöpfung ungenau werden. Bei den Wiederholungen nimmt Montserrat sich kurze Ruhepausen bei den Figuren auf dem Boden. Sie lässt Armbewegungen oder Schritte weg. Es gibt spontane Regungen, wie das Zurückstreichen der Haare, die mit der eingeführten Bewegungsordnung brechen. Auch das sichtbare, tiefe Atmen der Performerin ist ein deutlich wahrnehmbares Zeichen ihrer Anstrengung und körperlichen Ermüdung. Nach 14 Ausführungen der Choreografie endet das Video, mit einer raschen Abblende ins Schwarz.

Die Bewegungsfolge ist keine Rekonstruktion eines bestimmten Tanzes von Baker. Montserrat entwickelte die Choreografie für Shadowing Josephine zusammen mit ihrer ehemaligen Tanzlehrerin Barbara Benson Smith. [vgl. Monserrat 2017: 101] Die Choreografie verdichtet exzentrische Bewegungen, die ohne Schwierigkeit den Modetänzen der Jazz Ära und ihrer Überlieferung von populären afro-amerikanischen Tanzstilen zugeordnet werden können. Montserrats Tanz verknüpft die scheinbar aus der Balance geratenen Haltungen, die gegenläufigen Bewegungsimpulse und das parodistisch überdrehte Vorwärtsschreiten des Cakewalk, die hüpfenden, gleitenden und stolzierenden Bewegungsformen von Animal Dances, die zappeligen Schrittfolgen des Charleston, ein Schieben, Schütteln und Gleiten, das die Hüften und den Hintern als Impulsgeber ausstellt und Momente, in denen die Arme und Beine sich schlenkernd und isoliert vom regungslosen Torso bewegen.[13]

Beim Betrachten des Videos verwickelt uns Montserrats Performance durch die anmutige und energetische Ausführung der tänzerischen Bewegung in ein affiziertes, hingezogenes Zuschauen. Die Choreografie erscheint in einem längeren Prozess des Trainings und Probens präzise eingeübt und auf die Maße des Galerieraumes abgestimmt. Trotz der anfänglich einnehmenden Leichtigkeit der Bewegungsausführung erreicht Montserrats Performance nie die Kontrolle und Genauigkeit einer professionellen Tänzerin. Abweichungen werden bei den körperlich anspruchsvollen, wiederholten Bewegungssequenzen deutlich sichtbar. Auch die Positionen und Wege im Raum variieren bei jedem Durchlauf.

Die Arbeit verweist durch den Titel Shadowing Josephine, die Nacktheit der jungen Schwarzen Performerin, den Stil der Musik und die Choreografie unmissverständlich auf Baker. Dabei löst nicht nur das Bewegungsrepertoire die Assoziation mit Baker aus. Auch die Eigenart der expressiven verkörperten Performance legt diese Verknüpfung nahe. Montserrats selbstbewusste Grazie verstärkt die Komik der ausgeführten Schritte und exaltierten Figuren. Wie in den überlieferten Filmaufzeichnungen von Bakers Auftritten behält die Schaustellung des tanzenden Körpers eine Ambivalenz, eine zugleich verstörende und verstrickende, Unruhe und Bindungen verstärkende Kraft. Anmut und Komik, athletische Verausgabung und zarte Leichtigkeit, Überstürzung und Laszivität, Perfektion und Verletzbarkeit rücken als einander widerstreitende Eindrücke in der Erfahrung des Zuschauens dicht zusammen.

Der Titel der Performance Shadowing Josephine bezeichnet eine bestimmte Aktivität: das Beobachten, Verfolgen und Verdoppeln der Bewegungen einer anderen Person. Das ‚Abschauen‘ und Nachvollziehen erlaubt es, Bewegungsabläufe zu verstehen und zu erlernen. Montserrat beschreibt ihre Bezugnahme auf Baker als eine von Enthusiasmus getragene Aneignung:

 

My performance of Shadowing Josephine thoroughly encapsulates my initial steps: it is tentative, nervous, naïve, bashful and celebratory. Josephine’s humour, articulated through her sinuous body; lithe and comely one minute, flailing legs and arms set akimbo the next, serves to remind us of our fallibility and egotism. It would be wonderful to work more towards emulating and celebrating that enchanting position, the core of Josephine Baker’s repertoire. [Montserrat 2017: 100]

 

Montserrat geht es in ihrer Annäherung an Baker nicht um ein re-enactment. Ihr Nachtanzen ist eher ein re-enchantment. Durch ihren körperlichen Nachvollzug situiert sie das überlieferte Bewegungsrepertoire neu. Shadowing Josephine stellt die Erfindungskraft und die vielschichtigen Erfahrungen von Bakers vergangenen Aufführungen vor Augen. Montserrat stellt im Modus der Performance ästhetisch-forschende Rückfragen an Bakers marginalisierte soziale Position und die Handlungspotenziale ihrer künstlerischen und politischen Arbeit. Ähnlich wie Verfahren des re-enactment und der re-performance in den Künsten zielt Montserrats Rückwendung auf Vergangenes darauf ab, etwas Übergangenes aufzuspüren. Etwas noch nicht in seiner Bedeutung für die Gegenwart Bedachtes wird durch die Wiederaufnahme als offene Möglichkeit der Veränderung und Anliegen der Zukunft erschlossen. Wiederholung – so erklärt Giorgio Agamben in einem Text zu Guy Debords Filmmontagen –, könne als Wiederkehr des Vergangenen als Möglichkeit begriffen werden: „Repetition restores the possibility of what was, renders it possible anew; it’s almost a paradox. To repeat something is to make it possible anew.“ [Agamben 2004: 316]

Für die Gegenwart erprobt Shadowing Josephine die expressive Performance eines Körpers als Möglichkeit, affektive Verbindungen und politische Einbeziehungen zu formen. Welche ästhetischen Beziehungen und sozialen Begegnungen kann eine Performance – eine eskapistische und praktische, physische und visuelle Aktion vor Zuschauenden – erfinden? Die Verschiebung von Bakers tänzerischen Bewegungen durch Raum und Zeit setzt jenseits der bekannten Bilder und vielfach aufgerufenen Bedeutungszusammenhänge der Überlieferung neue Deutungen frei. Die formalen Entscheidungen für die Ausführung und Präsentation von Shadowing Josephine bringen andere Sichtbarkeiten und neue Erfahrungen des Involviert-Seins hervor.

Die Neufassung des Tanzens als durational performance artikuliert eine andere Konzeption von Bewegung. Die geplante und eingeübte körperliche Tätigkeit der Performerin tritt nicht hinter einer in allen Details beherrschten Demonstration anmutiger Beweglichkeit zurück. Stattdessen werden die physischen Vollzüge in Shadowing Josephine in ihrer Dauer und Wiederholung als Kraftaufwand, als Zustände der Erschöpfung, als abweichende Bewegungen und als Arbeit erkennbar. Im Unterschied zu Verfahren der Body Art oder Endurance Art dient die Dauer nicht vorrangig als emphatische Authentifizierung der körperlichen Erfahrungen (im Tun der Performerin und in der situierten Wahrnehmung des Zuschauens). Ein auffälliger Kontrast zu den ernsthaft-rituellen, strapazierenden Körperpraktiken der Body Art ist die Komik und das Tempo der choreografischen Bewegungen in Shadowing Josephine. Die scheinbar mühelosen, beschwingten und komischen Bewegungssequenzen beziehen Zuschauer*innen zunächst in eine heitere Gestimmtheit ein. Montserrats Blicke zur Kamera und ihr Lächeln markieren das Geschehen als absichtsvolle, auf ein Gegenüber ausgerichtete Darbietung. Aufgrund dieser Haltung des adressierten Vorführens unterscheidet sich Montserrats Arbeit ebenfalls deutlich von der Body Art. In der Body Art bestimmten entweder eine selbstbezügliche Indifferenz oder eine unmittelbar provozierende Handlungsaufforderung die Beziehung der Performer*innen zu ihrem Publikum. Shadowing Josephine lässt sich als aufgabenbasierte, physisch anspruchsvolle Performance auffassen. Mit der zunehmenden Erschöpfung werden die im Voraus geplanten Vollzüge für die Performerin zu nicht mehr vollständig beherrschten, in ihrem Ausgang nicht mehr absehbaren Bewegungen. Für Zuschauer*innen stellen sich damit Fragen nach Kontrolle und Zufall, nach Selbstbestimmung und Selbstbeschränkung, nach den Effekten der Wiederholung als Disziplinierung und Veränderung des Körpers.

Über die Dauer der Performance verändert sich jedoch nicht nur die Ausführung der Choreografie. Auch die Sichtweise auf den Körper in Bewegung wird eine andere. Beim Zuschauen ermüdet mit der Performerin in der geloopten Bewegung allmählich auch das berührte Interesse an der Choreografie und am spektakulären Reiz der Nacktheit. Die Dauer führt mich als Betrachterin von meiner faszinierten Ausrichtung auf die visuellen und musikalischen Bewegungen hin zu einer verstärkten Wahrnehmung meiner sich verändernden Erfahrung der Performance. Mit dem Nachlassen des Eingenommen-Seins von der Performance verschieben sich die Kräfte meiner Aufmerksamkeit auf eine Befragung meiner Eindrücke und Erwartungen. Was bekomme ich hier zu sehen? Und was möchte ich in Performances sehen? Wie bewegen die Wiederholungen mich durch die Zeit meines Zuschauens? Wann beginne ich anstelle des Tanzes die Arbeit des Sich-Bewegens zu sehen? Welche Kräfte wende ich auf, während die Performerin sich verausgabt? Welche Erfahrungen der Dauer, der Wiederholung und der Synchronisierung teile ich als Zuschauer*in mit der Performerin?

In ihrer Aneignung von Baker führt Montserrat eine neue Konzeption und Realisierung von Bewegung ein: vom Tanz zur Performance und zum performing. Durch Montserrats künstlerische Verfahren werden der körperliche Aufwand und die herstellende Arbeit des Aufführens anschaulich. Als Neu-Verortung von vergangenen populären Ausdrucksformen im Galerieraum erweitert Shadowing Josephine die Auffassung von Performance-Geschichte. Der Jazz und der formalisiert-lasziv tanzende Körper fügen sich nur als unstimmige, auffallende Ereignisse in den weißen Galerieraum ein. Der Widerstreit zwischen Aktion und Setting spielt mit den Erwartungen von Zuschauer*innen. Schließlich verbinden sich mit den gesonderten Orten der Populärkultur und Hochkultur bestimmte Vorstellungen von den jeweils gebotenen Gegenständen und Erlebnissen. Shadowing Josephine bricht mit gewohnten Rezeptionsweisen. Die Performance durchkreuzt vertraute Distinktionen zwischen bloßer Unterhaltung (Vaudeville, Music Hall, Varietétheater) und ästhetisch anspruchsvoller Kunstwelt (neutraler weißer Ausstellungsraum).

Im Kontext der gegenwärtigen Live Art eröffnet Montserrats Performance die Möglichkeit, von einem anderen kulturellen Ort aus und in einer neuen Weise auf Bakers Bewegungsrepertoire zurückzukommen. Die künstlerische Auseinandersetzung erweitert dabei den Rahmen dessen, was in theoretischen Zusammenhängen als Geschichte der westeuropäischen und nordamerikanischen Performance Art bewahrt, dokumentiert, überliefert, ausgelegt, konstruiert und verhandelt wird. Shadowing Josephine macht andere Anfänge, Schauplätze und Artikulationsweisen stark. Die Bezugnahme auf Bakers Tänze und Calloways Musik stellt Verbindungen zu vergangenen expressiven Performances der Unterhaltungskultur her. Erstens wird dadurch die Grenze zwischen Kunst (Performance Art) und Nicht-Kunst (populäre Aufführungspraktiken und ihre Öffentlichkeiten, vernacular culture) in Frage gestellt. Zweitens wird die Whiteness der Praktiken, Wissensformen und Überlieferungen der Performance Art einer kritischen Analyse zugänglich gemacht. Die kanonisierten, durch die Reproduktion in Kunstmagazinen, Katalogen und Büchern verbreiteten Fotografien von Performances der 1960er und 1970er Jahre zeigen fast ausschließlich Weiße Körper in weißen Galerieräumen. Trotz der radikalen Experimente, der Utopien von Kollektivität, der Abkehr von warenförmigen Kunstwerken und der Durchlässigkeit der Kunst zu sozialen Situationen perpetuiert die Performance Art durch ihr ‚Trägersystem‘ diese auffälligen Ausschlüsse. Im Anschluss an W. J. T. Mitchell bezeichne ich als ‚Trägersystem‘ das Zusammenspiel aller Medien und Praktiken, die in Kunstinstitutionen, artists’ statements, Selbstdokumentationen, kuratorischen Konzepten, Förderstrukturen, Kunstkritik, professionellen Netzwerken, Sammlungsprofilen, Festivals, Kunsthochschulen, Kunsthandel etc. wirksam werden. Alle diese Verfahren und Bezeichnungspraktiken entscheiden über die Form und Erfahrung der Kunst mit. [vgl. Mitchell 2006: 198] Im Feld der Performance Art sind race und Klasse zwei Dimensionen, die (immer noch) die Verteilung von Handlungsmacht strukturieren und den Zugang zur Kunstwelt und Formen der Teilhabe ermöglichen oder unwahrscheinlich machen.[14]

Die expressiven Formen, die Selbstpräsentationen und die kontroverse Wahrnehmung von Baker und Calloway können nicht getrennt von ihrer marginalisierten Position als afro-amerikanische Entertainer der Segregationszeit betrachtet werden. Bei der Konstruktion von Bakers und Calloways star persona waren exotisierende und rassifizierende Darstellungen Teil von Vermarktungsstrategien, die darauf abzielten, ein Weißes Publikum zu erreichen.[vgl. Sloan 2019] Die mehrdeutigen und keineswegs einfach aufzulösenden mimetischen Verbildlichungen, die Bakers Performances von Blackness vorausgehen und die sie hervorbringt, hat Anne Anlin Cheng in nuancierte Beschreibungen übersetzt. In ihrem Buch Second Skin: Josephine Baker and the Modern Surface analysiert sie einige aus den 1920er Jahren überlieferte Studio-Fotografien von Baker. Cheng widmet sich der einzigen erhaltenen Aufnahme, die Baker mit Joe Alex, ihrem Partner aus dem Danse sauvage (1925) zeigt und den Porträts von Baker im notorischen Bananenröckchen aus La Folie du jour (1926/1927).

 

Abb1

Abb. 1: Josephine Baker im Bananenkostüm, 1926.
© akg-images / Peter Weiss.

 

 

Über diese Fotografien schreibt sie:

 

These iconic images exemplify colonial ambivalence (the idealization of primitive innocence and the denigration of primitive sexuality), and their reception today (as either evidence of her naïve victimization by or her calculated parody of European racism and sexism) must be seen as continuing, rather than intervening in, this discourse of ambivalence. The interesting question is not one of Baker’s agency (indeed, the question of her self-construction or self-representation is complex by nature, given her professional obligations and the social world in which she succeeds), but how the terms of agency and performance must be nuanced in a context where the question of consent is seriously compromised. The attribution of subversive intentionality on the part of Baker, as some critics are wont to give, does not get us away from the problem that, when it comes to the spectacle of the stereotype, execution and parody look uncomfortably similar. [Cheng 2011: 41-42]

 

Bakers Performances sind in ihrer Belebung und Brechung von Projektionen des ‚Primitiven‘ eine anhaltende Herausforderung für Versuche der kritischen Einordnung. Cheng wendet sich gegen eine einfache Gleichsetzung von Sichtbarkeit und Erkennen. Sie verdeutlicht die Dynamiken der Identifikation, des Begehrens, der Entstellung, des Inkorporierens, der Nachahmung, der Fetischisierung oder der Abspaltung, welche die koloniale Vorstellungswelt konstituieren, ihr Kraft verleihen und sie zugleich von sich selbst ablenken. Bakers Tanz im wippenden Bananenröckchen richtet eine überdeutliche Szene und eine dennoch nicht zu vereinnahmende Begegnung ein. Von diesen ungewissen Beziehungen gibt Cheng folgende Beschreibung:

 

The banana skirt, with its supposedly transparent (racial and erotic) joke, stands as both a reduction and a redundancy in the allegorical network embedded in the scene. It sutures—flimsily, we might add—the unwieldy cycle of identification and disidentification unleashed in the encounter between the supposed subject and object of Primitivism. Baker offers not only a case study or a symbol of colonial projection but also an embodiment of the very crisis of differentiation founding that imperial desire. [Cheng 2011: 48]

 

Wie Cheng überzeugend belegt, greifen Versuche, Baker als historische Akteurin als handlungsmächtiges oder gewaltvoll unterworfenes Subjekt zu bestimmen, zu kurz. Bereits die Kopplung von Subjektivität und Handlungspotenzial (agency) weist Cheng als Vereinfachung zurück. Stattdessen entziffert sie Bakers bewegliche Selbstverortungen und kulturelle Performances als vielfältige Reaktionen auf eine verletzte, gefährdete Subjektivität (injured subjectivity). [vgl. Cheng 2011: 121] Chengs subtile Untersuchung von Bakers spektakulären und de-spektakularisierenden Selbstinszenierungen arbeitet daran, Beschreibungen für sichtbare, lesbare, brüchige, zurückgewiesene, verdinglichte, exzentrische und denkbare Subjektivitäten zu vervielfachen. Dieser machtkritische und handlungstheoretische Zugang zu Räumen, Körpern und Bildern ermöglicht auch eine neue Sichtweise auf Verfahren der Performance Art. In theoretischen Texten zur Performance Art werden Fragen der Sichtbarkeit immer wieder als emanzipatorische Artikulationen verhandelt und mit politischer Repräsentation enggeführt. Bakers riskanter und undurchdringlicher Exhibitionismus verkompliziert diesen unterstellten Zusammenhang.[15]

Shadowing Josephine überschreitet das elitäre Referenzsystem der Kunstwelt hin zur Revue. Die Performance aktualisiert vergangene populäre Aufführungspraktiken und die Übersetzungsvorgänge des Black Atlantic. Diese umfassendere Deutung von Performance-Traditionen schließt Formen der Parodie und Burleske, die Gewalt kolonialer Blickordnungen und Fragen nach machtvollen Verfügungen über Körper ein. Schließlich zählen zu überlieferten Praktiken der Sichtbarmachung und Aufführung auch restriktive und entwürdigende Kopplungen von Performance und race. Wenn Montserrat durch ihre Aufführung auf der Gegenwart von Bakers Arbeit beharrt, so ist diese Aktivierung ein Beitrag zu aktuellen Diskussionen über Performance und agency, über Rassismus und Entwürfe der Desidentifikation und über das Vermögen von Performances, Formen des Zusammenseins von Verschiedenen zu entwerfen. [vgl. McMillan 2015; Muñoz 1999; Nyong’o 2019]

Was Montserrats Arbeitsweise vom weiten Feld spekulativ-archivarischer, dokumentarischer oder historiografischer Verfahren in den Künsten abhebt, ist neben der Neufassung von Bewegung und dem erweiterten Begriff von Performance-Geschichte schließlich ihre Forschung durch Performances. Im Sinne von Modellen verstehe ich die szenischen und aufgabenbasierten Anordnungen zu Baker als Bearbeitungen der Frage, was sich jenseits der textbasierten Dokumentation mit Performance-Geschichte tun lässt. Und: Wie die Beziehungen zwischen Anwesenden in einer Performance-Situation eine eigenständige Form sein können, um Bedeutung zu erschließen und situiertes Wissen zu artikulieren. In Montserrats Beschäftigung mit Bakers Bewegungs- und Protestformen geht es nicht um Rekonstruktion, Kommentar oder Kritik. Vielmehr ermöglicht Shadowing Josephine durch die zeitgebundenen, sich verändernden Vollzüge exzentrischer Bewegungen Zuschauer*innen gemischte Empfindungen ihrer Wahrnehmungen der Anziehung, des Rückzugs und der Ambivalenz.

 

Beteiligen und Vervielfältigen

In einem veröffentlichten Text zu ihren Baker-Recherchen führt Montserrat den Begriff „affectionate movements“ ein. [Montserrat 2017: 100] Der Ausdruck steht für eine von Empfindungen der Zuneigung und von einem leidenschaftlichen Interesse getragene Bezugnahme auf die emanzipatorisch-politischen Anliegen von Bakers Arbeit. Meinem Verständnis nach geht es Montserrat um eine besondere verkörperte und affektive Haltung zu vergangenen choreografischen und politischen Bewegungen: um ein Sich-davon-bewegen-lassen, das nicht als passives Erdulden, sondern als sensible Neu-Ausrichtung des Körpers vorzustellen ist. Die Settings und Aktivitäten von Montserrats Performances können Zuschauer*innen re-orientieren.[16] Sie ermöglichen ihnen eine (erneute) Hinwendung zu Bakers populären Auftritten und ihrer politischen Sichtbarkeit. Wenn Montserrat die Konstruktion von ‚affectionate movements‘ als leitendes Prinzip ihrer Performances benennt, so ist damit eine bestimmte Konzeption der Erfahrung angesprochen. Demnach lassen die gewählten Performance-Verfahren für Zuschauer*innen die emotionalen Eindrücke in der Selbstwahrnehmung ihrer Bezugnahme auf die ausgeführte Aktion hervortreten. Verkörperte Verbindungen der Fürsorge und Affekte der Zuneigung sollen dabei eine Vermittlung zwischen den Handlungsmodellen der Performance und der sozialen Situation der Begegnung leisten. Entsprechend können ‚affectionate movements‘ als Dynamiken der sich verändernden, körperlichen und emotionalen Beziehungen in der Performance-Situation verstanden werden. Montserrat arbeitet dabei an einer Verknüpfung von ästhetischen mit nicht-ästhetischen Handlungsfeldern. Die Ausrichtung ihrer ästhetischen Verfahren wird von aktivistischen Anliegen angetrieben: Es geht um die Möglichkeiten, Beziehungen und Allianzen zu formen, die aus einer künstlerischen Praxis heraus auch in anderen gesellschaftlichen Räumen wirksame Veränderungen von sozialen Relationen in Gang setzen können.

Im Unterschied zum Besuch einer Performance-Aufführung legt die Online-Präsentation der Dokumentationen von Shadowing Josephine Betrachter*innen nicht auf einen Ort, eine Anfangszeit, eine Dauer und einen linearen Verlauf fest. Als Zuschauer*innen können wir zwischen den verfügbaren Videos hin und her wechseln, sie vergleichen und mit Bedacht wiederholen, mittels der Kontrollleiste in den einzelnen Clips vor- und zurückspringen, die Wiedergabe abbrechen oder neu starten. Die Idee eines einmaligen, begrenzten und nicht wiederholbaren Kunst-Ereignisses wird aufgelöst durch die gleichzeitige Zugriffsmöglichkeit auf mehrere Versionen der Performance und unterschiedliche Formen der audiovisuellen Dokumentation.

In Kunstinstitutionen, in Spielstätten des freien Theaters oder bei Performance-Festivals haben sich durch die Programmgestaltung, durch kritische Diskurse und durch die Kennerschaft eines spezialisierten Publikums besondere Praktiken des Zuschauens ausgeprägt. In Kunst- und Theaterräumen werden Performances meist als einzelne, von anderen alltäglichen oder künstlerischen Aktivitäten abgehobene, räumlich und zeitlich gerahmte Ereignisse gezeigt. Diese Präsentationsweise bestimmt Performances als außergewöhnliche, durch die Bedingungen der liveness ereignishaft-intensivierte Erfahrung. Üblicherweise stellen Zuschauer*innen ihre eigenen Impulse der Unruhe oder Ungeduld für die vorgesehene Dauer der Performance zurück. Ein aufmerksames Verhalten, das die Nähe und das Füreinander-wahrnehmbar-Sein bedenkt, ist in der Aufführungssituation eine unausgesprochene Verabredung zwischen allen Anwesenden. Das künstlerische Konzept eines sich in der Zeit entfaltenden und Form gewinnenden Geschehens wird durch diesen Kontrakt zwischen Performer*innen und Zuschauer*innen respektvoll gewahrt.

Im Unterschied zu diesen Haltungen der aufmerksam-gespannten ästhetischen Betrachtung rückt die Online-Präsentation die Performance-Videos in einen zerstreuten alltäglichen Wahrnehmungszusammenhang. Das Kunst-Ereignis tritt im zufälligen und banalen flow des individuellen Browsens vorübergehend in Erscheinung. Auf den Webseiten sind die Videos mit Werkangaben versehen (Titel, Datum, Ort und Urheber*innen) und dadurch als künstlerische Arbeiten eingeordnet. Auch im Netz dienen Portale als Einstieg und Lenkung von (Such-)Bewegungen. Gegenüber den Veranstaltungsorten der Kunst- und Theaterwelt fehlen jedoch vertraute Zugangsrituale, die ein Abstandnehmen vom Alltag durch einen Durchgangsraum (das Foyer) und durch eine bekannte Handlungsfolge (Kartenkauf, Garderobe, Einlasskontrolle) vorzeichnen.

Selbst wenn die Performance-Videos gezielt recherchiert und die Webseiten mit einem besonderen Interesse aufgerufen werden, sind die Dokumentationen eingebettet in einen zufälligen Strom aus Texten, Bildern, Videos und Sounds, die ihnen vorausgehen und auf sie folgen. Als Schauräume sind Webseiten oder Video-Portale nicht länger den Vorführpraktiken von Kunstausstellung oder Theater verpflichtet. Eher ließe sich die Präsentation und zerstreute Rezeption auf das Fernsehen oder vergangene Formen der Unterhaltungskultur beziehen – auf die gemischten Programmfolgen des frühen Kinos oder die effektvolle Zusammenstellung einzelner artistischer, tänzerischer, dramatischer, komischer und musikalischer ‚Nummern‘ im Vaudeville. Die Verbreitung und Verknüpfung auf Webseiten und Video-Portalen erweitert den Zugang zu Performance-Dokumentationen. Als individuell abrufbares Angebot stellt die Online-Präsentation keine herausfordernden Ansprüche an unsere Aufmerksamkeit oder unser Verhalten beim Zuschauen.

Für die Arbeit der seit 1999 in London tätigen Live Art Development Agency hat Lois Keidan auf die entscheidende Rolle gegenwärtiger digitaler Technologien hingewiesen: „Developments in technologies allow us all to create and access online platforms to research, connect, share, catalogue, publish, and disseminate Live Art in unprecedented ways.“ [Keidan 2019: 6] Einerseits betont Keidan, dass webbasierte Technologien einen Zugang für eine Vielzahl von Nutzer*innen und deren Aktivitäten des Austauschs und der Vernetzung bieten. Kulturelle oder ökonomische Schranken können durch die Dokumentation, Verbreitung und Vermittlung von Live Art im Netz abgebaut werden. Andererseits vermögen neue Praktiken des Archivierens, Dokumentierens und Katalogisierens die Sichtbarkeit und Reichweite von Kunstprojekten zu erhöhen. Neue Formen der lebendigen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Live Art werden möglich, die Überlieferungen und Auslegungen vervielfachen: „Technology is a critical factor in the heightened level of interest and developments in the histories and archiving of Live Art and has enabled artists, scholars, and curators to both research, and create new contexts for, underrepresented artists and untold histories.“ [Keidan 2019: 6]

Die gegenwärtigen technologischen Bedingungen erlauben nicht nur das Bewahren und Betrachten vergangener Kunstereignisse, sondern auch die Vervielfachung von deren Deutung – durch Praktiken der Aneignung und des Feedbacks, des Teilens und Kommentierens, des Sammelns und Recherchierens. Durch ihre Performances erfand Baker neue Verknüpfungen zwischen Leben und Kunst, Privatheit und Öffentlichkeit, Unterhaltung und Politik. Wenn man diese Ästhetisierung und Theatralisierung von Lebensformen ernst nimmt, so erscheint das Internet als geeignetes Podium, um aus Bakers choreografisch-aktivistischem Bewegungsrepertoire heraus neue Beziehungen und lebendige Umgebungen für bestehende Widersprüche zu kreieren. Mit ihren Aufführungen und den Video-Dokumentationen von Shadowing Josephine arbeitet Monstserrat an Übertragungen von Bakers expressiven Performances. Bakers „heroic exhibitionism“ [Pinckney 2006: o. P.] trifft heute auf Rechnernetzwerke und ihre Protokolle. Auch das ist ein mögliches Ensemble für ‚doing Joséphine‘.

 

 

Dank
Auf die Arbeiten von Jade Montserrat bin ich während meiner Recherchen bei der Live Art Development Agency in London aufmerksam geworden. Joseph Schofield und allen Mitarbeiter*innen der Live Art Development Agency möchte ich für Hilfe und Unterstützung herzlich danken! Der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung gilt mein Dank für das gewährte Reisestipendium, das mir 2019 den Forschungsaufenthalt in London ermöglicht hat.

 



[1] Die Ausstrahlungskraft von Bakers Aufführungen zeigt sich an den zahlreichen kritischen Studien, in denen ihr eine herausragende Rolle in kulturellen und gesellschaftlichen Erneuerungsprozessen zugesprochen wird. Kritische Texte behandeln beispielsweise die soziale Innovation von Bakers radikaler Theatralisierung von Blackness [Gaines 2017], die transatlantische Übertragung von Burleske und Vaudeville [Brooks 2007/8; Adair 2013], die kinematografische Konstruktion von Blackness und stardom [Francis 2005, 2008], die von Baker fortgeschriebenen afro-amerikanischen Tanzstile [Henderson 2007/8] oder die mimetischen Verwicklungen kolonialer Blickregime [Cheng 2011]. Mein Enthusiasmus bei Recherchen zu Baker entspringt den höchst unwahrscheinlichen Verknüpfungen, die sie zwischen Hoch- und Unterhaltungskultur sowie zwischen exzentrischem star image und anti-rassistischer Politik hervorgebracht hat. Dass ein und dieselbe Person als Sprecherin beim March on Washington for Jobs and Freedom (1963) und als Sängerin bei den vom Ersten Deutschen Fernsehen ausgestrahlten Deutschen Schlagerfestspielen im Casino von Baden-Baden (1966) aufgetreten ist, erscheint unglaublich! Bakers Passagen zwischen kulturellen Orten, sozialen Milieus und politischen Räumen erweitern grundlegend die Möglichkeiten, über Vielheit und Übereinkünfte in den Öffentlichkeiten von Unterhaltung, Kunst und Politik nachzudenken.
[2] Trinh T. Minh-ha hat in ihren Überlegungen zu Erfahrungen der Migration und Diaspora das Verhältnis zwischen Identität und othering nicht als Gegensatz, sondern als konstitutive Bezugnahme bestimmt: „Identity is largely constituted through the process of othering.“ [Minh-ha 2011: 37] Bei der Betrachtung von Bakers Selbstpräsentationen, star images und verkörperten Rollen kann es nicht um ‚Authentizität‘, sondern nur um das endlose Spiel von fiktionalen Zuschreibungen gehen, die für Bakers Expressivität jeweils einen ‚vormodernen‘ Ursprung konstruieren. [vgl. Barnwell 1997; Cheng 2011] Wie Matthew Pratt Guterl ausführt, zeichnet Baker als historische Akteurin sich durch ihre Bewegungen zwischen politischen Räumen und sozialen Rollen aus: „Peripatetic and unbounded, she defined herself by relentless movement, dislocation, and self-transformation“. [Pratt Guterl 2014: 7] In Bezug auf die verkörperten Rollen bewertet Pratt Guterl das verwirrende ethnische Pastiche als Taktik Bakers, um der Beschränkung auf die Darstellung Schwarzer Figuren zu entgehen. [Pratt Guterl 2014: 38]
[3] Auf das unternehmerische Kalkül der stetigen Neu-Erfindung von expressiven Formen und Images weisen Jules-Rosette und Pratt Guterl nachdrücklich hin. Sie stellen klar, dass Baker aufgrund ihres Lebensstils auf erhebliche laufende Einnahmen angewiesen war.
[4] Eine Form gewinnt Bakers autobiografisch-dokumentierende Arbeit beispielsweise in ihren song lyrics, in ihrer Zusammenarbeit mit Marcel Sauvage und Paul Colin an den Memoiren Les Mémoires de Joséphine Baker (1927), ihrer Kollaboration mit André Rivollet an der Biografie Une Vie de toutes couleurs (1935) und in ihrer musikalischen Revue-Retrospektive Joséphine (1974 Monte Carlo, 1975 Théâtre Bobino, Paris). Für das 1976 postum von Jo Bouillon herausgegebene und als Autobiografie deklarierte Buch Joséphine ist die Urheberschaft der Baker zugeordneten Erinnerungserzählungen nicht zu klären. [vgl. Pratt Guterl 2014: 19 f.]
[5] Theoretische Beiträge der letzten Jahre haben bereits das Nachleben von Bakers Performances in Choreografien [vgl. Lepecki 2006], in Drag Performances [vgl. Gaines 2017] und in der Musik- und Populärkultur dokumentiert [vgl. Jules-Rosette 2007; Francis 2007/8].
[6] Nach einem Studium der Kunstgeschichte (Courtauld Institute of Art) und einem Studium der freien Kunst mit dem Schwerpunkt Zeichnung (Norwich University of the Arts) ist Montserrat seit 2017 Stipendiatin der Stuart Hall Foundation. Sie entwickelt ein in ihrer künstlerischen Praxis fundiertes PhD Projekt zu Race and Representation in Northern Britain in the context of the Black Atlantic: A Creative Practice Project an der University of Central Lancashire. [vgl. Montserrat 2020]
[7] Mit Bezug auf Éduard Glissant und Patrick Chamoiseau wird Opazität gegenwärtig als Konzept stark gemacht, das Technologien der Sichtbarmachung, Identifizierung, Kontrolle und Überwachung entgegen steht und ein anderes Nachdenken über das Verhältnis zwischen visueller und politischer Repräsentation eröffnet. Vgl. beispielsweise die Texte und künstlerischen Arbeiten von Zach Blas. [vgl. Blas 2020]
[8] Pratt Guterl spricht die gegenwärtige Kritik an den asymmetrischen oder neo-kolonialen Beziehungen bei internationalen Adoptionen an. Vgl. zur Geschichte von transracial-Adoptionen die Arbeiten von Tobias Hübinette. [Hübinette 2020]
[9] Seine Begegnung mit dem Weißen Blick bestimmt Frantz Fanon als Moment, in dem sein Körperschema zusammengebrochen sei und einem „epidermischen Rassenschema“ Platz gemacht habe. [Fanon 2016: 95] Vgl. auch Chengs Überlegungen zu Bakers Konstruktionen von Oberflächen, die Sichtbarkeit und Zuschreibungen von race voneinander abtrennen. [Cheng 2011: 7–13]
[10] 1978 kreierte Gilbert Baker die erste Regenbogenflagge für den San Francisco Gay Freedom Day. [vgl. Gilbert Baker Foundation 2020]
[11] Die Dokumentation von Shadowing Josephine ist unter folgendem Link zu finden: https://vimeo.com/314000049, 17. August 2020. Ausstellungsansichten und ein Text von Oliver Tepel zu Montserrats Arbeiten finden sich auf der Webseite der Galerie: https://galerienorbertarns.de/koeln/ausstellung/jade-montserrat-dezember-2017, 17. August 2020.
[12] Nate Sloan hat die kontroverse Wahrnehmung von Cab Calloways Auftritten im Cotton Club in Harlem, der nur einem Weißen Publikum zugänglich war, eingehend dokumentiert. Sloan verdeutlicht, dass Calloways musikalische Karriere und die Konstruktion seiner star persona (ebenso wie die Selbstpräsentationen Bakers) durch die Politik der Segregation bestimmt und begrenzt war. [vgl. Sloan 2019: 372]
[13] Zu den polyrhythmischen, polyzentrischen und überdrehten Bewegungen des Cakewalk und späterer afro-amerikanischer Modetänze vgl. beispielsweise die Studien von Kusser 2013 und Brown 2008. Baker betonte durch ihre Tänze den Hintern. Janell Hobson schätzt Bakers vulgarisierende und dynamisierende Präsentation des Hintern als eine selbstermächtigende Performance ein, die den kolonialen Blick auf nackte Körper Schwarzer Frauen nicht nur wieder einschreibe, sondern parodiere. [vgl. Hobson 2004: 93–97]
[14] Suzanne Lacy hat in ihren Projekten vielfach race und class problematisiert und in ihren Texten ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse offengelegt. [vgl. beispielsweise Lacy 2010] Über rassistische Ausschlussmechanismen (u. a. im Hochschulsystem) schreibt Adrian Piper eindrücklich in ihrem autobiografischen Text „Passing for White, Passing for Black“. [Piper 1996] Zu den Benachteiligungen aufgrund von sozialer und ethnischer Herkunft in der Kunstausbildung vgl. die gegenwärtige Studie von Rotmüller, Saner, Sonderegger, Vögele 2016.
[15] Umfangreiche Ausarbeitungen zu Selbstpräsentationen in der Performance Art, die als Verfahren gegen kulturelle Unsichtbarkeit gerichtet waren, haben Amelia Jones und Meiling Cheng vorgelegt. [Jones 1998; Cheng 2002].
[16] Sara Ahmed hat in ihren phänomenologischen und affekttheoretischen Texten soziale Beziehungen als situierte, verkörperte Erfahrungen untersucht. Unterbrechungen normativer Orientierungen und disziplinierender Bewegungsordnungen, Formen des feministischen Engagements oder aktive Formen der Selbstpositionierung beschreibt sie als reorientation. Dabei geht es ihr um veränderte Beziehungen zwischen Subjekt und Welt, die andere Wahrnehmungen und neue Handlungsweisen möglich werden lassen. [vgl. Ahmed 2006, 2014]

 

 

Literatur
Adair, Zakya R. „Transgressive (Re)presentations: Black Women, Vaudeville, and the Politics of Performance in Early Transatlantic Theater“. In: Anne Crémieux, Xavier Lemoine, Jean-Paul Rocchi (Hg.). Understanding Blackness through Performance. New York 2013: 75–90.
Agamben, Giorgio. „Difference and Repetition: On Guy Debord’s Films“ [1995]. In: Tom McDonough (Hg.). Guy Debord and the Situationist International: Texts and Documents. Cambridge 2004: 313–319.
Ahmed, Sara. Queer Phenomenology: Orientations, Objects, Others. Durham 2006.
Ahmed, Sara. The Cultural Politics of Emotion. Edinburgh 2014.
Barnwell, Andrea D. „Like the Gypsy’s Daughter Or Beyond the Potency of Josephine Baker’s Eroticism“. In: David A. Bailey, Richard J. Powell (Hg.). Rhapsodies in Black: Art of the Harlem Renaissance. Berkeley 1997: 83–89.
Blas, Zach. [persönliche Webseite, 2020]. https://zachblas.info/, 17. August 2020.
Brooks, Daphne Ann. „The End of the Line: Josephine Baker and the Politics of Black Women’s Corporeal Comedy“. In: The Scholar and Feminist Online, 6/1, 2 (2007/2008). http://sfonline.barnard.edu/baker/brooks_01.htm, 17. August 2020.
Brown, Jayna. Babylon Girls: Black Women Performers and the Shaping of the Modern. Durham / London 2008.
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Fanon, Frantz. Schwarze Haut, weiße Masken. [1952] Übers. von Eva Moldenhauer. Wien 2013.
Francis, Terri. „Embodied Fictions, Melancholy Migrations: Josephine Baker’s Cinematic Celebrity“. In: MFS Modern Fiction Studies, 51/4, 2005: 824–844.
Francis, Terri. „What Does Beyoncé See in Jospehine Baker?: A Brief History of Sampling La Diva, La Bakaire“. In: The Scholar and Feminist Online, 6/1, 2 (2007/2008).
Gaines, Malik. Black Performance on the Outskirts of the Left: A History of the Impossible. New York 2017.
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Hübinette, Tobias. [Publikationen, persönliche Webseite, 2020]. https://tobiashubinette.wordpress.com/publications/, 17. August 2020.
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Keidan, Lois. „Foreword: Twenty Years and Counting“. In: Theron Schmidt (Hg.). Agency: A Partial History of Live Art. Bristol 2019: 6-9.
Kusser, Astrid. Körper in Schieflage: Tanzen im Strudel des Black Atlantic um 1900. Bielefeld 2013.
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Pinckney, Darryl. [Interview, 00:21:00]. In: Joséphine Baker: The 1st Black Superstar. (GB 2006, Suzanne Phillips). https://www.youtube.com/watch?v=Ggb_wGTvZoU, 17. August 2020.
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Rotmüller, Barbara; Saner, Philippe, Sonderegger, Ruth; Vögele, Sophie. „Kunst. Kritik. Bildungsgerechtigkeit: Überlegungen zum Feld der Kunstausbildung“. In: Andrea Lange-Vester, Tobias Sander (Hg.). Soziale Ungleichheit, Milieus und Habitus im Hochschulstudium. Weinheim 2016: 89–105.
Sloan, Nate. „Constructing Cab Calloway: Publicity, Race, and Performance in 1930s Harlem Jazz“. In: The Journal of Musicology, 36/3, 2019: 370–400.

 

 

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