ECHOHAUS – der gefaltete Raum
Felix Kubin (Hamburg) im Gespräch mit Burkhard Friedrich (Berlin)
Jeder Raum ist ein Klangkörper. Seine Geometrie, die Beschaffenheit seiner Oberflächen, das Material, aus dem er gebaut ist, die Gegenstände in ihm, sogar die Luftfeuchtigkeit bestimmen seine Klangeigenschaften. In dieser Hinsicht gleicht er einem akustischen Instrument. Doch wie spielt man einen Raum? Er hat keine Saiten, keine Tastatur, kein Mundstück, keine Mechanik.
Im Jahr 2009 beschloss ich, zusammen mit dem zeitgenössischen Komponisten Burkhard Friedrich und dem Hamburger Produzenten Tobias Levin eine ganz neue Form der Studioaufnahme auszuprobieren. Burkhard Friedrich leitete damals mit der Violinistin Barbara Lüneburg das zeitgenössische ensemble Intégrales, zu dessen Besetzung auch der Pianist Ashley Hribar (später Ninon Gloger) und der Schlagzeuger Steve Heather gehörten. Unser offen angelegtes Experiment sollte ein klassisch-modernes Ensemble mit einem elektronischen DIY-Musiker und einem Produzenten für Underground-Popmusik zusammenbringen. Eine Woche lang nisteten wir uns in Tobias Levins Electric Avenue Studio auf der Hamburger Fleetinsel ein, um Raumklänge und neue Formen des Zusammenspiels zu erforschen. Das Studio befindet sich im Keller des Westwerk, eines 1986 von Künstlerinnen und Künstlern besetzten alten Lagerhauses, das direkt am Kanal liegt. Möwengeschrei und Wasserplätschern dringen durch die Fenster, ab und zu brummt ein Boot vorbei.
Für unsere Aufnahmen hatte ich ein paar Regeln aufgestellt, zum Beispiel, dass keine künstlichen Halleffekte oder digitalen Plug-Ins verwendet werden durften. Nur die akustischen Reflexionen echter Räume waren erlaubt, und davon gibt es im Westwerk reichlich: große, kleine, hallige, verwinkelte, helle, dunkle und klaustrophobisch klingende. Alle Signale sollten mit Mikrofonen aufgenommen werden, auch die elektronischen Klänge, die zu diesem Zweck über Lautsprecher abgespielt wurden. Eine weitere Regel war, dass keine Overdubs (sukzessive eingespielte Einzelaufnahmen) gemacht werden durften. Das Ensemble sollte immer als Ganzes spielen. Dazu wurden die Spieler auf verschiedene Räume verteilt und über Kopfhörer miteinander verbunden. Die Stücke basierten auf kleinen handschriftlichen Notizen oder elektronischen Miniaturen, die durch Improvisationen und spontane Absprachen ergänzt wurden. Spielanweisungen gab ich live vom Abhörraum aus über Mikrofon. Meine Stimme wanderte direkt in die Kopfhörer und wurde so zu einem unsichtbaren Dirigenten. Manchmal waren mehrere Personen gleichzeitig an einem Instrument zugange, meistens standen wir aber 30 Meter voneinander entfernt über das ganze Haus verteilt. So wurde das Westwerk von uns zum zweiten Mal besetzt.
Ich nannte das Projekt Echohaus. Die Aufnahmen im Studio dauerten sieben Tage, das Schneiden und Arrangieren ein Jahr. 2010 erschien ein Tonträger beim Hamburger Avantgarde-Label Dekorder. Im gleichen Jahr gab es eine Uraufführung beim Märzmusik Festival in den Berliner Sophiensaelen. Auch dort hatten wir die Instrumente auf verschiedene Räume verteilt. Das Haus wurde zum mehrstöckigen, begehbaren Resonanzkörper, dessen Echos durch die Flure, Ritzen und Gänge des alten Gebäudes drangen. Sogar das Treppenhaus hatten wir in ein Hallgerät verwandelt.
Signalfluss der Instrumente (Felix Kubin)
Anlässlich des 10-jährigen Jubiläums von Echohaus führte ich ein Interview mit dem Komponisten und Gründungsmitglied des ensemble Intégrales Burkhard Friedrich.
Ninon Gloger (Foto: Simone Scardovelli)
Echohaus - Tobias Levin im Electric Avenue Studio (Foto: Simone Scardovelli)
Burkhard Friedrich (Foto: Simone Scardovelli)
Felix Kubin (Foto: Simone Scardovelli)
Steve Heather (Foto: Simone Scardovelli)
Echohaus (Foto: Andreas Diefenbach)
Konzertablauf (Felix Kubin)