„Better City, Better Life“

Ein Gespräch über „The World Is Not Fair – Die Große Weltausstellung 2012“ mit Benjamin Foerster-Baldenius, Matthias Rick, Christoph Gurk und Philipp Oswalt

 

 

 

 

Unter ironischer Bezugnahme auf die Tradition der Weltausstellungen und der Expos, die seit mehr als 160 Jahren weltweit an wechselnden Schauplätzen ausgerichtet werden, steht vom 1. bis zum 24. Juni 2012 ein Ausstellungsparcours mit 15 Pavillons auf dem Flugfeld des ehemaligen Flughafens Tempelhof zur Erkundung bereit: The World Is Not Fair – Die Große Weltausstellung 2012. Die Künstler Benjamin Foerster-Baldenius und Matthias Rick von raumlaborberlin sowie der Dramaturg Christoph Gurk denken im Gespräch mit dem Publizisten und Architekten Philipp Oswalt über den Rahmen nach, in dem dort Orte höchst subjektiver künstlerischer und politischer Reflexion entstehen sollen.

 

Philipp Oswalt: Wie kam es zu der Idee einer „Weltausstellung“?

 

Benjamin Foerster-Baldenius: Matthias Lilienthals Ära am HAU geht jetzt nach neun Jahren zu Ende. Wir haben immer überlegt, was ein sinnvoller Abschluss unserer langen Zusammenarbeit – vom Palast der Republik über das Symposium zur „Kioskisierung“ bis hin zum Dolmusch-Express – und ein gemeinsames Statement zu Berlin sein könnte. Dass die Ausrichtung einer Olympiade im letzten Wahlkampf plötzlich wieder ein wichtiges Thema wurde, zeigt auf jeden Fall, dass die Tendenz der Landespolitik zu Groß- oder Megaveranstaltungen nicht abgenommen hat. Eine Weltausstellung ist die ultimative Megaveranstaltung, die eine Stadt sich überhaupt aufbürden kann. Da dachten wir, wir machen das jetzt einfach mal schnell, damit danach niemand mehr auf die Idee kommt. Diese Gefahr schwebt ja wie ein Damoklesschwert über der Stadt, nicht nur hier in Tempelhof. Auch auf dem Flughafen Tegel stellt sich nach dessen Schließung für die Politik die Frage: Welches Feuerwerk muss dort abgebrannt werden, um Investoren darauf aufmerksam zu machen?

 

Oswalt: Ihr wollt die Idee der Weltausstellung beerdigen. Braucht Berlin gar keine Weltausstellung? Oder eine andere?

 

Matthias Rick: Uns geht es darum, über dieses Konstrukt überhaupt nachzudenken. Für Architekten und Planer haben einerseits manche faszinierende Pavillons der Weltausstellungen große Maßstäbe gesetzt. Andererseits gibt es auch Kritik an der Vernichtung von Stadtquartieren und der hohen Verschuldung von Städten, die mit solchen Veranstaltungen meist einhergehen. In Hannover beispielsweise blieb nach der Expo 2000 eine Ruinenlandschaft zurück.

Wir haben uns auch gefragt, wie sich eigentlich Welt beschreiben lässt. Ist es heute noch sinnvoll, die Welt als eine konkurrierende Veranstaltung von Nationen zu beschreiben wie zuletzt in Shanghai? Und was hatte der anspruchsvolle Titel der Shanghai-Ausstellung Better Cities, Better Life mit dem zu tun, was dort eigentlich stattfand?

 

Christoph Gurk: Das Thema Stadt hat das HAU-Programm stark geprägt – im Unterschied zu herkömmlichen Einrichtungen, die meist nur ihre Innenräume bespielen. Das HAU hat Kulturschaffende aus der so genannten Peripherie ins Theater geholt oder begab sich gleich selbst in unterschiedliche Stadtbezirke und an die Ränder, wie etwa mit dem Projekt X-Wohnungen, das in Metropolen wie São Paulo in Berlin und Johannesburg stattfand. Seit den neunziger Jahren hat das Thema Stadtentwicklung besonders in Berlin viele Leute beschäftigt und eine ganze Projektkultur auf den Weg gebracht. Das HAU und auch raumlabor sind Teil dieser Entwicklung.

 

Oswalt: Hat das Tempelhofer Feld auch ein utopisches Potenzial?

 

Foerster-Baldenius: Sicher! Die Freigabe des Flughafengeländes war ein Geschenk an die Stadt mit einer völlig neuen Raumqualität. Es ist einer der ganz wenigen Orte in Berlin, wo der Blick in die Ferne schweifen kann, wo man den Horizont sieht und ein Gefühl von Weite hat. Das ist eine unbedingt bewahrenswerte Qualität. Hinzu kommt die Skurrilität eines plötzlich frei betretbaren Flughafengeländes, das sonst streng eingezäunt ist. Selbst die dort Arbeitenden dürfen normalerweise nicht einfach herumlaufen, es gibt klare Reglementierungen. Der Traum vom Fliegen ist inzwischen völlig entromantisiert – man kauft sich im Internet ein Ticket, checkt auf einem kleinen Bildschirm ein, geht dann durch die ganze Hässlichkeit der Flughäfen, wird abgetastet, eingescannt… Plötzlich aber kann man auf diesem freien Areal nicht nur sinnbildlich fliegen, sondern mit einem Kite eigene Flugübungen machen. Wenn ich mich auf diese Startbahn stelle, denke ich: Jetzt renne ich gleich los und hebe ab.

 

Gurk: Das Gelände ist auch ein sehr ambivalenter, geschichtsträchtiger Ort. Hier gab es die ersten Flugexperimente. Da wurden die technischen Voraussetzungen für die heutige Globalisierung geschaffen. Es war zugleich ein Ort militärischer Planungen, geprägt von der Logistik und Infrastruktur der Nazis. Teile der Rüstungsindustrie und ein Konzentrationslager hatten hier ihren Ort, Zwangsarbeiter mussten in der militärischen Luftfahrtindustrie schuften. Im Westberlin der Nachkriegszeit war Tempelhof das Symbol der Luftbrücke. Der einst größte Flughafen Europas war ein Produkt des Größenwahns. Es bedeutet eine bemerkenswerte Umkehrung, wenn dieser einst hermetische Ort auf einmal als gigantische Fläche für die urbane Freizeitkultur zur Verfügung steht – in einer Stadt, in der die Freiräume, die es nach dem Fall der Mauer gab, immer mehr verschwinden.

 

Oswalt: Das Feld vermittelt auch eine Wüstenerfahrung mitten in der Stadt, ein Gefühl von Unendlichkeit. Wenn ich so schnell renne, wie ich kann, habe ich trotzdem den Eindruck, nicht vom Fleck zu kommen. Das hat durchaus auch etwas Frustrierendes, Eintöniges.

 

Rick: Das Areal ist nicht nur größer als die Prager Altstadt, es ist auch größer als das Ausstellungsgelände in Shanghai. Für mich hat es etwas Unbezwingbares. Das ganze Feld, der Klang, wie sich mit dem Wind die Geräuschverhältnisse verändern, ist faszinierend. Im Winter sah ich dort Leute wie Wüstennomaden entlangstapfen, die sich bei unwirtlichstem Wetter ihren Weg bahnten.

 

Foerster-Baldenius: Es geht auch darum, welche Rolle dieses Feld künftig für die ganze Stadt haben wird. Es gibt natürlich Stadtplanungsprozesse: Auch wir wurden Jahre vor der Schließung des Flughafens, gemeinsam mit Leuten wie dem Landschaftsarchitekten Klaus Overmeyer, in die Planung eingebunden. Wie könnte der Ort mit der Stadt zusammenwachsen? Eigentlich haben die nun offiziell vorgesehenen Pionierfelder, auf denen unterschiedliche Gruppierungen einen Ort zum Experimentieren bekommen, viel mit unserem Denken zu tun, aber es wird anders umgesetzt. Statt die Pinoierfelder als Potenzial und Impulsgeber für eine langfristige Entwicklung zu begreifen, sind sie jetzt lediglich ein Pausenfüller, bis die Investoren kommen und da ihre Häuser hinstellen.

 

Oswalt: Welche Rolle spielt für eure Planungen der offenkundige Widerspruch zwischen dem Geltungsanspruch einer „Weltausstellung“ und den realen Möglichkeiten, die euch zur Verfügung stehen?

 

Rick: Klar, wir schüren Erwartungen, die wir auf keinen Fall erfüllen können oder wollen.

 

Gurk: Alles, was man auf dieses Gelände stellt, kann so groß sein, wie es will – es sieht immer noch wie ein Baum in der Landschaft aus und lädt zum Nachdenken über die Wahrnehmung von Größenverhältnissen und Skalierungen kultureller Projekte ein. Der Titel unseres Vorhabens nimmt ja sein Scheitern schon vorweg. Ich will nicht von Christoph Schlingensief sprechen, aber ...

 

Foerster-Baldenius (zieht seinen Pullover aus und zeigt sein Chance 2000-T-Shirt):

… weil sich diese Weltausstellung als Gegenentwurf zu den eher repräsentativen kulturellen Vorhaben der offiziellen Stadtpolitik versteht, gehen wir nicht auf den Schlossplatz, wo man Touristenströme nur umlenken muss wie am Palast der Republik. Wir wollen eine Ausstellung an einem originären Berliner Ort, die für die Menschen in der Stadt da ist und sie interessiert. Wenn dann auch noch Publikum von woanders herkommt, finden wir das richtig und gut, aber wir meinen das Projekt nicht als touristisches Stadtmarketing.

 

Gurk: Das Projekt richtet sich ja nicht nur an die üblichen Verdächtigen eines informierten Kultur- und Vernissagepublikums, sondern an eine an diesem Ort bereits existierende Öffentlichkeit. Insofern muss sich unser Verständnis von Kultur hier noch einmal auf andere Weise bewähren.

 

Rick: Uns interessiert: Welche Fragen soll man an die Welt richten? Und diese Fragen fallen je nachdem, von welchem Land oder von welchem Kontinent aus man sie stellt, sehr unterschiedlich aus. Wie sieht die Welt aus der Sicht von alternden Menschen aus? Was ist die Perspektive, mit der Gesellschaften südlich des Äquators auf das Restgeschehen auf diesem Planeten schauen? Wenn man die Diskussionen um den Kollaps der Finanzmärkte oder auch den Klimawandel betrachtet, kann man dann von einer Krise prognostischer Systeme sprechen, die Ereignisse in der Zukunft vorhersehbar und beherrschbar machen sollen? Warum haben apokalyptische Denkweisen in letzter Zeit wieder Konjunktur?

 

Oswalt: Weltausstellungen sind globale Ereignisse. Euer Projekt richtet sich zunächst an Neukölln, einen Stadtteil, in dem Menschen aus 131 Nationen leben.

 

Foerster-Baldenius: Die herkömmliche Weltausstellung repräsentiert die Welt der politischen Grenzen. Neben den Pavillons einzelner Nationen treten in solchen Kontexten höchstens noch globale Firmen in Erscheinung. Wir interessieren uns mehr für subjektive Wahrnehmungen und wollen ein kleines Kaleidoskop solcher Positionen zeigen. Zu Beginn unseres Parcours wird es den Pavillon der Weltausstellungen geben, in dem die bisherigen Unternehmungen dieser Art dokumentiert werden. Das ist ein bisschen das Ei im Ei im Ei, aber wir glauben, dass es notwendig ist zu fragen: Was versteht man eigentlich unter Weltausstellung, und was ist unsere Kritik daran?

 

Gurk: Gleichzeitig geht es um die Geltung bestimmter Allgemeinbegriffe, Konzepte oder Systeme wie Kommunikation, Geld, Liebe, Wetter oder Klang, von denen man glaubt, dass sie überall auf diesem Planeten eine Rolle spielen und über die noch die entlegensten Regionen miteinander verbunden sind. Wir sind den ganzen Juni über auf dem Gelände und werden dort auch eine Art Festivalzentrum haben, wo begleitende Diskussionen zu diesen Themen stattfinden.

 

Oswalt: Wie sehen im Unterschied zu herkömmlichen Weltausstellungen eure kuratorischen Prinzipien aus?

 

Gurk: Das ähnelt schon ein wenig der Venedig-Biennale, wo die Pavillons zwar unter Länderhoheit stehen, aber immer durch einen Künstler bearbeitet oder gestaltet werden.

 

Rick: Toshiki Okada, ein Regisseur aus Yokohama, zum Beispiel beschäftigt sich in seiner Arbeit und seinen Inszenierungen vor allem mit den Gepflogenheiten der japanischen Gesellschaft und wie sie sich auf das Miteinander der Menschen auswirken. Als im März 2011 die Katastrophe in Fukushima geschah, zog er mit seiner Familie und seiner Community in den Süden, um so weit wie möglich von diesem Ort wegzukommen.

 

Gurk: Ungefähr zur gleichen Zeit wollten die Techniker der Berliner Volksbühne nicht zu einem Theaterfestival nach Südkorea fahren, weil sie dachten, sie seien dort schon zu nah dran am Katastrophenort ...

 

Foerster-Baldenius: ... während Okada froh war, zu dem gleichen Festival nach Korea eingeladen zu sein, um möglichst weit weg zu sein von der Katastrophe.

 

Gurk: In einer globalisierten Welt ist die Perspektive auf Katastrophen je nach Standort eine andere. In Berlin haben die Leute Schiss, dass sie in Korea verstrahlt werden könnten, während in Japan die Leute schon froh sind, in Kyoto zu sein.

 

Rick: Ein weiteres Beispiel: Tamer Yiğit ist Filmemacher und Regisseur. Er wohnt hier in Neukölln, in der Boddinstraße. Dort gibt es einen Club, der sich besonders den hier lebenden Roma widmet. Zusammen mit Jugendlichen und Kindern aus der Community wird er deren Lebensrealität in Berlin reflektieren. Vielleicht lassen wir eine Wohnsituation entstehen, aus der heraus der Reiseroman In 80 Tagen um die Welt von Jules Verne reflektiert wird.

 

Oswalt: Wie muss man sich den Parcours mit den Pavillons konkret vorstellen?

 

Rick: Die Pavillons werden total unauffällig bleiben. Es wird keine Dramaturgie eines Weges geben. Die Pavillons werden so über das Feld verteilt, dass sie individuell wirken und von Flaneuren auch zufällig entdeckt werden können.

 

Foerster-Baldenius: Wir gestalten den Ausstellungsaufbau nicht als verdichtete Stadtstruktur. Zum Teil nutzen wir vorhandene Strukturen, sogenannte Bestandgebäude wie den ehemaligen Hundezwinger, der von uns noch einmal überformt wird. Schon in seinem jetzigen Zustand, außen umzäunt und mit Scheinwerfern, innen gefliest und mit den Hundekäfigen, löst er Assoziationen an das Lager Guantanamo aus. Dann recyceln wir die Pavillons des Festivals Über Lebenskunst, das im Sommer 2011 im Berliner Haus der Kulturen der Welt stattfand. Sie lagern derzeit in Brandenburg, wir bauen sie um. Einige Neubauten sind auch geplant.

 

Oswalt: Eurer Auswahl künstlerischer Positionen liegt offenkundig das Bestreben nach einer Inventarisierung und Reflexion von Modellen der Beschreibung des Planeten, auf dem wir leben, als Totalität zugrunde. Geht es auch um unterschiedliche Formen des In-der-Welt-Seins?

 

Gurk: Die Leute, die an diesem Projekt mitwirken, werden vier Wochen lang an einem Ort sein und ihre Projekte weiterentwickeln. Schon der Vorgang des Ausstellungsaufbaus, der bereits Mitte April beginnt, ist ein Prozess der Verortung auf diesem Feld, innerhalb des Projektes und auch im Stadtteil Neukölln, der momentan bekanntlich einer sichtbaren Transformation unterworfen ist, seitdem es keinen Fluglärm mehr gibt und die Gegend zum Sehnsuchtsort für Spekulanten geworden ist. Es wird also neben den geplanten theatralen Handlungen auch immer Situationen des Sich-Aufhaltens und spontanen Tuns geben – vielleicht wird sogar ein Stück weit „experimenthaft gelebt“.

 

Rick: Die Zwischennutzung des Palasts der Republik damals war auch so eine utopische Konstruktion, an der sehr viele unterschiedliche Leute verschiedenster Disziplinen beteiligt waren. Während der Projektentwicklung war das ein sehr geschützter Ort, an dem man arbeitete, bevor die Tore für das Publikum geöffnet wurden. Auf dem Tempelhofer Feld sind wir viel stärker verschiedenen Formen der Außenwirkung ausgesetzt – nicht nur dem Wind und der Sonne und dem Regen und der Einsamkeit und dem Geruch der Bahlsen-Fabrik am Rande des Ausstellungsgeländes, sondern auch den Menschen, der Öffentlichkeit. Diese Entwicklung, das Bauen und die einzelnen Arbeiten werden sehr geprägt von dem speziellen Ort.

 

Oswalt: Wo du vom Geruch der Keksfabrik sprichst: Gibt es in eurem Projekt so etwas wie ein Glücksversprechen?

 

Gurk: Der Proust‘sche Keks! Ich bin mir nicht sicher, ob wir von Utopien oder einem Glücksversprechen reden sollten, wenn es um Kunst geht. Die Arbeiten selber werden stark dystopische Züge haben.

 

Oswalt: Zu den klassischen Weltausstellungen gehörte jedoch auch immer die Arbeit an einer besseren Zukunft. Geht es euch dann eher um eine Antihaltung, wie euer Untertitel nahelegt: The World Is Not Fair?

 

Rick: Es gibt keine Arbeiten, die Vorschläge machen, wie die Welt zu retten ist. Im Jahr 2005 gab es eine Weltausstellung in Japan, die sich mit Ökologie und zukunftsfähigen Energien beschäftigte. Trotzdem gab es sechs Jahre später die Katastrophe von Fukushima.

 

Foerster-Baldenius: Die Künstler, die wir einladen, sollen natürlich Spaß haben bei der Arbeit und Austausch pflegen, wenn wir zusammen fast zwei Monate auf dem Tempelhofer Feld verbringen. Wir hoffen, dass das Festivalzentrum ein Ort wird, wo man sich gern aufhält und dass die beteiligten Akteure nicht in ihren Pavillons, in ihren künstlerischen Labyrinthen gefangen bleiben.

 

Oswalt: Dass ein Theater eine Ausstellung organisiert, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Was bedeuten euch die Hybridisierung und die Engführung von Architektur und Theater?

 

Gurk: Diese interdisziplinäre Arbeit hat Matthias Lilienthal während der letzten Jahre am HAU deutlich forciert. Zuletzt war es das Festival Testing Stage, das neue künstlerische Synergien zwischen Theater, Performance und bildender Kunst ausprobierte. Weit über ein Format wie X Wohnungen hinaus möchte das HAU die Möglichkeiten von Räumen austesten, die nicht notwendigerweise der Logik von White Cubes oder Black Boxes unterworfen sind.

 

Foerster-Baldenius: Für uns sind solche Theaterkooperationen fruchtbar, weil wir mit unseren Architekturideen immer versuchen, in den realen urbanen Raum vorzudringen, und zwar nicht nur als Installation, sondern um bestimmte Nutzungen zu erreichen. Das ist zu Beginn oft eine temporäre Nutzung mit beispielhaftem Charakter. Dafür brauchen wir Akteure, die diese Architekturen beleben und damit sind wir bereits sehr nah am Theater und an Prozessen, in denen Künstler und Performer sich ein Thema aneignen und damit arbeiten. Bei Projekten, die mehr mit Stadtentwicklung zu tun haben, mahlen die Mühlen langsamer. Da muss man ewig mit dem Senat verhandeln oder mit Verwaltungen herumkuscheln. Geschwindigkeit ist aber wichtig: Man muss manchmal schnell agieren, gerade wenn es darum geht, etwas zu verhindern oder eine Entwicklung in eine bestimmte Richtung anzuregen.

 

Rick: Wir arbeiten nicht grundsätzlich mit Theatern zusammen, sondern nur mit solchen, die über ihre Rolle als gesellschaftsbildende Institution nachdenken. Matthias Lilienthal will mit seiner Arbeit sein Umfeld, die Stadt, in der er lebt, direkt beeinflussen. Ihm geht es genauso wie uns um politische Prozesse, für die es Bündnisse zu schaffen gilt. Die Eichbaumoper im Ruhrgebiet ist ein anderes gutes Beispiel. Da haben wir im Jahr 2009 einen desolaten Ort vorübergehend in ein Festspielhaus verwandelt, gemeinsam mit dem Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, dem Schauspiel Essen und dem Ringlokschuppen Mülheim. Wir sind bis heute immer wieder dort und haben zusammen mit der Kommune eine Art Leitbild entwickelt, wie man mithilfe verschiedener Netzwerke ein anderes Verständnis von Stadtplanung herstellen kann. Das ist sehr experimentell und das Theater ein wichtiger Verbündeter, um solche Vorgänge voranzubringen.

 

Foerster-Baldenius: Mit den herkömmlichen stadtplanerischen Mitteln kommt man nur bis zu einem bestimmten Punkt. Die Sehnsucht nach urbanen Räumen, in denen wir gern leben, bleibt oft auf der Strecke. Das Theater spielt da eine kaum zu unterschätzende Rolle als Sehnsuchtsproduktionsfabrik.

 

Oswalt: Es scheint mir auch interessant und wichtig, dass die Trennung zwischen Raumnutzern und Raumproduzenten aufgehoben wird. Wie bei Tamer Yiğit, der seine Gruppe aufs Feld holt: Da werden die Anrainer selbst zu Machern. Das Gleiche gilt für die zu überwindende Distanz zwischen dem Theaterraum als Ort der Repräsentation, der Reflexion und dem Kontext, in dem er steht. Matthias Lilienthal will nicht nur einen kritischen Diskurs über Raum führen. Er versteht sich selbst als Akteur in diesem Raum.

 

Foerster-Baldenius: Genau. Das ist das Wechselspiel zwischen Actor und Akteur.

 

Oswalt: In den Weltausstellungen spielt die Architektur eine gewichtige Rolle. Was soll sie bei eurem Projekt leisten? Hat sie nur die Funktion, künstlerische Handlungen zu ermöglichen, oder ist sie selbst ein Statement?

 

Rick: Im Gegensatz zu einer Expo spielt die Architektur bei uns eine untergeordnete Rolle. Sie ist in der Tat mehr Vehikel für Programme und Formate, die man an diesem Ort etablieren könnte. Wir machen den Künstlern aber auch Vorschläge, wie man bestehende Strukturen nutzen kann. Uns stellt sich eher die Frage: Was bleibt von dem, was wir hier tun? Wenn man diesen Bunker, den wir mit einer Arbeit von Lukas Freireiss bespielen werden, längerfristig als Ausstellungsraum für die Entwicklung imaginärerer Welten etablieren könnte, die mit Kindern immer weiter entwickelt werden, wäre das toll.

 

Oswalt: Ihr habt das Recycling erwähnt. Wie ihr bereits gesagt habt, hinterlassen  Weltausstellungen normalerweise Ruinen. Ihr fangt mit den Überbleibseln an ...

 

Foerster-Baldenius: Wir sind hier bisher nur die Zwischennutzer von Strukturen. Bis zum gegewärtigen Zeitpunkt hat sich die Grün Berlin GmbH, die das Gelände auf dem Tempelhofer Feld verwaltet, nicht dazu durchringen können, die Bestandsgebäude jemandem zu überlassen. Wir spielen die Rolle der Pioniere oder Türöffner und hoffen, dass diese Bauten weiterhin für experimentelle Nutzungen zur Verfügung stehen, wenn unser Projekt beendet ist.

 

Oswalt: Das Projekt Volkspalast, an dem ihr genauso wie das HAU im Jahr 2004 beteiligt wart, hatte auch eine repräsentative Dimension: Welche Identität hat das Land, in dem wir leben, nach der Wiedervereinigung? Wie kann ein sinnvoller Umgang mit historischen Gebäuden aussehen? Wie hat sich die Situation in der Hauptstadt seitdem für euch verändert?

 

Rick: Natürlich haben wir diskutiert, ob wir auf die große Wiese auf dem Schlossplatz in Mitte gehen. Aber der Ort ist verloren, verbrannt. Man könnte dort nie mit der Arbeit von Tamer Yiğit und den Romakindern in Erscheinung treten. Dann würde das Projekt genau die Tradition der Völkerschauen, des „Human Zoo“, fortschreiben, die wir aus der Geschichte der Weltausstellungen kennen, weil dieser Ort einfach nicht mehr authentisch ist. Die Kids wären dann keine Akteure mehr, sondern würden von den Touristen angegafft.

 

Foerster-Baldenius: Wenn selbst ein Philipp Oswalt es aufgegeben hat, um den Schlossplatz zu kämpfen, ist das für uns ein Indikator, dass da wirklich nichts mehr zu retten ist. Jetzt steht dort diese Kiste namens Humboldt-Box, die einem einen Schauer über den Rücken jagt – auch als Ankündigung dessen, was wir künftig zu erwarten haben. Insofern markiert das Tempelhofer Feld als Schauplatz unseres Projektes schon einen Rückzug. Es gibt bei uns eine gewisse Trauer, dass man es nicht geschafft hat, diesen Ort in der Stadt zu erobern, zu etablieren, dauerhaft zu halten für öffentliche gesellschaftliche Debatten, die wir nun auf das ehemalige Flughafengelände mitnehmen. Auf dem Tempelhofer Feld jedoch haben wir das Gefühl, mit unseren Mitteln tatsächlich etwas bewirken zu können und nicht gegen Wände zu rennen. Wir denken dabei realistischer: Wo können wir tatsächlich eine Veränderung herbeiführen?

 

Oswalt: Ich denke nicht, dass die Arbeit mit dem Palast der Republik in diesen Jahren vergeblich war. Bestimmt sind auch viele Ambitionen gescheitert, aber ich glaube, dass es insofern wirkungsmächtig war, als es ganz neue Modelle der Projektentwicklung in die Köpfe eingeschrieben hat. Das hat seine Spuren hinterlassen. Das Thema Zwischennutzung in Deutschland ist mit dem Volkpalast nachhaltig etabliert worden.

 

 

Die links zu einzelnen Projekten wurden von der Redaktion hinzugefügt und sind nicht Teil des ursprünglichen Gesprächs.

 

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