Ein Ausstellungsgebäude als diskursive Position

Christian Teckert für as-if berlinwien (Berlin/Wien)

 

 

 

Die Konzeption als performative Struktur

Der Entwurf der GfZK-2 in Leipzig beruht auf einem intensiven Dialog zwischen as-if berlinwien und der damaligen Leiterin Barbara Steiner über die Bezüge zwischen Kunst und Architektur, zwischen Institution und Raumproduktion. Der Anspruch war, entlang von institutionskritischen Verfahrensweisen [Gau 2017] ein Raumkonzept zu denken, das der gängigen Hegemonie der White Cube-Architekturen eine aktivierende, aber auch eine reflexive Idee von Raum gegenüberstellt. Damit verbunden war eine Auseinandersetzung mit künstlerischen und kuratorischen Positionen, die im weitesten Sinne der „relationalen Ästhetik“ [Bourriaud 2002] zugeordnet wurden. Entscheidend war dabei, dass hier nicht mehr von einer relativen Autonomie künstlerischer Setzungen im Raum ausgegangen wurde, sondern von der Produktion sozialer Situationen, in denen das Beziehungsgefüge zwischen Ort, Architektur, Subjekten und Objekten durch handlungsorientierte Strategien ins Spiel gebracht wurde. Diese über eine reine Kontextkritik weit hinausgehende Praxis beruhte auf einem bewussten Spiel mit den architektonischen und institutionellen Rahmenbedingungen, die von vorneherein als kontingente Setzungen adressiert wurden. Unsere Agenda bestand darin, die Architektur einer Kunstinstitution dementsprechend als Anordnung von Variablen zu verstehen, die trotz allem materiellen Widerstand und der Voraussetzung der Funktionserfüllung immer einem Spiel von unterschiedlichsten Zuschreibungen, Interpretationen und Inanspruchnahmen offenstehen sollte. Diese diskursiv geprägte Entstehungsgeschichte war in der Form nur möglich, weil das Projekt nicht von vorneherein als Architekturprojekt angelegt war, sondern zunächst als eine offene Debatte, die sich schon in Vorläuferprojekten aufgebaut hatte.

Im Kern ging es darum, ein Ausstellungsgebäude als performative Struktur zu denken und die Bestandteile einer Institution als Teil eines verhandelbaren Dispositivs zu gestalten. Dabei war das Interesse von as-if berlinwien vor allem, durch das Medium der Architektur jene Spielregeln und Rahmenbedingungen zu gestalten, die wiederum künstlerische und kuratorische Handlungen und Reaktionen herausfordern sollten. Und zwar in einer Art und Weise herausfordern, die einem klar umrissenen Spiel mit offen gelegten Regeln, aber unendlich vielen potentiellen Spielverläufen entspricht. Damit verbunden war auch der Versuch, ein Raumgefüge zu entwerfen, das die Produktion jeweils neuer Ausstellungsarchitekturen unnötig macht. Das Gebäude selbst wurde sozusagen als Ausstellungsarchitektur konzipiert, deren Elemente jeweils in neue Konstellationen versetzt werden können.

 

 

Abb. 1: Axonometrie 1: Schiebewände und Vorhänge in der GfZK-2.
Copyright as-if berlinwien

 

Die Prinzipien der gestalterischen Strategie

Die Gestaltung der Innenräume operiert mit Kippmomenten der räumlichen Wahrnehmung. Die Fragen nach Innen oder Außen, Davor oder Dahinter, Körper oder Fläche, Raum oder Bild, Ausstellung oder Sammlung sollten dabei ein produktives und kritisches Spielfeld eröffnen. Durchblicke, Bodenschlitze und Oberlichtelemente wurden so angeordnet, dass die Ausstellungsräume niemals komplett geschlossen werden können und immer ein Stück weit auf ein Dahinter verweisen. Die räumlichen Zonierungen und Zusammenhänge werden in der GfZK-2 primär durch Schiebewände und sogenannte Displayzonen hergestellt (Abb. 1). Die mit heller Farbe definierten Displayzonen bilden dabei Raumschalen – aus Oberflächen gefügte bühnenartige Kulissen und Raumbilder, deren Konstruktion unter anderem durch die Beweglichkeit ihrer teils flankierenden Raumabschlüsse in Form von großflächigen Schiebewänden preisgegeben wird. Diese flankierenden Schiebewände steuern einerseits die visuellen Bezüge zwischen den von den Displayschalen gebildeten Räumen und können andererseits eine der jeweiligen Ausstellung entsprechende Wegefigur herstellen. So wird es möglich, das gesamte Gebäudesystem für die spezifische Ausstellung umzugestalten, ohne dafür Ein- oder Umbauten zu benötigen (Abb. 2, 3).

 

Abb. 2: Axonometrie 2: Primäre Displayzonen in der GfZK-2.
Copyright as-if berlinwien

 

Abb. 3: Ausstellung Josef Dabernig: FILM, PHOTOGRAPHY, TEXT,
OBJECT, BUILDING
, 2005. Copyright as-if berlinwien

 

Es ging um eine durchlässige Atmosphäre, die die Elemente der Institution sozusagen als Paravents, als Kulissen einsetzt. Sie können verschoben und damit bewusst in Differenz zum Status davor thematisiert und damit „sichtbar“ werden. Sie können entlang der Notwendigkeit von Verhandlungen ihrer Positionierung benennbar werden. Dabei geht es jedoch dezidiert nicht um eine Maximierung von Flexibilität. Entscheidender als das, was die Architektur der GfZK-2 ermöglicht, war in diesem Zusammenhang das, was sie verunmöglicht: die einfache Orientierung, die Option komplett abgeschlossener Räume, die Ausblendung der Architektur und des räumlichen Kontextes und damit die Möglichkeit einer gelungenen Immersion in die Aura der Institution. Vielmehr ging es darum, Faktoren wie die Architektur, die Wahrnehmung des eigenen Körpers im Raum und die damit verbundenen Affekte, die Inszenierung der Institution sowie die komplexen Verwebungen dieser Aspekte darzustellen, die in den bruchlosen Narrativen musealer Szenografien zumeist unterdrückt werden. Die Idee einer Gemeinschaft, verbunden durch eine Atmosphäre künstlerischer Aura, wie sie Nicolas Bourriauds Prinzip einer „relationalen Ästhetik“ entwirft, wird dabei ganz bewusst in Frage gestellt. Die Architektur der GfZK-2 produziert vielmehr miteinander konkurrierende Teilbereiche, deren Relationen erst über Verhandlungen entlang von Differenzlinien im Raum jeweils neu geklärt werden müssen. Die Konstitution von (auch antagonistischen) Teilöffentlichkeiten ist hier als Hoffnung ins architektonische Programm mit eingeschrieben.

 

Die Bespielung der GfZK-2

Auch wenn die Institution, wie von Bourriaud deklariert, zu einem mit Aura gefülltem Ambiente geworden ist, so kann gerade ihre Architektur ein Medium darstellen, diese Produktion von Präsenz und Atmosphäre mit ihren Mitteln zu kommentieren, ihre Grundbedingungen sichtbar zu machen oder bisweilen auch zu unterlaufen. Dieser dem Entwurf zugrunde liegende Gedanke bedingt auch, dass der Diskurs mit der Eröffnung des Gebäudes nicht abgeschlossen war, sondern damit erst so richtig beginnen konnte.

 

Zunächst stellte sich in den Monaten nach der Eröffnung des Gebäudes im November 2004 so etwas wie Ernüchterung ein, als deutlich wurde, dass die Bespielung des Gebäudes schwieriger schien als zunächst gedacht. Der Bewegungsfluss beim Begehen der Ausstellungen, die Platzierungen der künstlerischen Arbeiten, die Choreografie der Bezüge innerhalb der Arbeiten schienen etwas inkohärent. Erst im Verlauf der nächsten Jahre wurde deutlich, dass diese Probleme notwendige Versuche und Eins-zu-Eins-Tests waren, um mit den Spielregeln und den damit einhergehenden Möglichkeiten und Limitierungen so umzugehen, dass darin inhaltlich sinnstiftende Linien gezogen und Lesbarkeiten in der Abfolge unterschiedlicher Argumente hergestellt werden konnten. Um diesen entscheidenden Aspekt der – im wahrsten Sinn des Wortes – Bespielung des Gebäudes zu vermitteln, schien es uns eminent wichtig, den Prozess der Entstehung, aber vor allem auch den der Nutzung erst einige Jahre nach der Eröffnung Ende 2004 mit einer Publikation zu dokumentieren, in der 2010 vor allem auch jene Akteure zu Wort kamen, die mit dem Gebäude arbeiteten: Die KünstlerInnen und KuratorInnen. Zu der dem Gebäudekonzept inhärenten Problematik der Ambivalenz zwischen Freiheit und Limitierung schrieb die Kuratorin Julia Schäfer: „For example, was it truly advantageous not to have any fixed exhibition routes or locked rooms, but to have high and low ceilings and be able to slide and change walls, to turn lamps by 360 degrees and dim them individually, to consider different flooring, work with upper and lower light slits, with manifold views and light flooding in from the outside through large windows, to incorporate exposed concrete walls, and so forth? Curating in the new building undoubtedly had to abide by a new and different model which, like the building itself, also literally explodes perspectives in order to overcome the conventional forms of artistic presentation — or, at least, to question them” [Grundei, Kaindl, Steiner, Teckert 2010].

Abb. 4: Collage/Modell für die Ausstellung ANALOG von Dorit Margreiter, 2006.
Copyright Julia Schäfer / GfZK

 

Julia Schäfer entwickelte in der sukzessiven Arbeit mit der GfZK-2 spezielle Methoden, die sie nicht nur in der Konzeption und Gestaltung der Ausstellungen einsetzte, sondern auch in der Kommunikation mit den beteiligten KünstlerInnen: So entwickelte sie eine spezielle Collage-Technik, in der die Räumlichkeit der jeweiligen Situation durch axonometrische Darstellungen der relevanten Wände eingearbeitet war (Abb. 4). Dieses Kommunikationsinstrument stellte sich als wichtige Methode der Arbeit mit dem Gebäude im Ausstellungskontext heraus. Der bewusst intendierte Überschuss an architektonischer Information wird damit begreifbar und verhandelbar gemacht, allerdings bleibt dennoch ein unkalkulierbarer Rest als Spannung erhalten: „Every time a new exhibition is planned in the new building, a small dose of the unforeseeable and incalculable remains, which makes the arrangement of the exhibition exciting. Only at the opening can we see the way in which the concept of the exhibition is displaced through the act of engaging with the architecture. Thus, I regard the new building as a challenge to constantly reconsider the art of exhibiting anew. If one doesn't work ‘with’ the building, then the architecture can very quickly become a form of limitation” [Grundei, Kaindl, Steiner, Teckert 2010].

Diese spezifische und raumbezogene Form der Produktion von Erfahrung und Wissen, von der die Kuratorin Julia Schäfer schrieb, hatte auch einen wichtigen instrumentellen Charakter für die Erarbeitung von Ausstellungen mit einzelnen KünstlerInnen, die sich angesichts der räumlichen Komplexität zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Architektur gezwungen sahen. Vor allem auch, weil die Information in den üblichen Plandarstellungen kaum in der Lage war, die relevanten Zusammenhänge zu erschließen. KünsterInnen wie Monica Bonvicini adressierten diese Problematik in einem nachträglichen Interview anlässlich der Publikation „When I received the architectural plans for the building, I immediately thought that it would not be easy to exhibit in this building. I still think that it is rather difficult for sculptures and installations, as the architecture itself is already quite installational. The building does not really have one proper large room, the floor is painted in different colors, the ceilings are not that high, and the walls not really straight. Indeed, it is not the ‘white cube’ whereby the standard, classic ‘white cube’ is sometimes not such a bad idea for sculpture. The new building of the GfZK quickly makes one feel somewhat displaced, since it is all so ‘crooked’ – that is, literally, crooked …” [Grundei, Kaindl, Steiner, Teckert 2010].

Genau dieses Verschieben, dieses Versetzen (displacing) gewohnter Konventionen im Kunstbetrieb war jedoch eine ganz entscheidende Antriebsfeder für das gesamte Projekt. Es war auch ein Versuch, die Grenzen des Zumutbaren im Sinne einer räumlichen Vorgabe auszuloten, zu der man sich notwendigerweise positionieren und verhalten muss. Die damit verbundene Anstrengung für alle Beteiligten war dabei nicht als provokative Herausforderung zu verstehen, sondern auch als Angebot eines Möglichkeitsraums mit vielgestaltigen Optionen, den es zu erobern galt. Eine symptomatische Aussage dazu machte die Künstlerin Sofie Thorsen in einem weiteren nachträglichen Gespräch über ihre Einzelausstellung 2005: „In that sense, the architecture became a veritable gift once I had figured out how it worked. The impossibility of separating the individual works, the continuation of the landscape-style orientation of the pieces in the horizontal layout of the exhibition, and the odd angles, which promoted views and relations between the pieces, all productively contributed to the dynamics of the exhibition” [Grundei, Kaindl, Steiner, Teckert 2010]. Das Zitat von Thorsen lässt einen Aspekt hervor scheinen, der am Ende das zentrale Motiv für die Entwicklung dieses Raumkonzeptes und des damit verbundenen Ausstellungsmodells war: der Anspruch, einen zeitgenössischen Ausstellungsraum nicht nur als einen des Zeigens und Repräsentierens zu denken, sondern ebenso als einen laborartigen Ort, der zu Neuordnungen herausfordert, der im Bewusstsein seiner Konstruktionsbedingungen Möglichkeitsräume einer anderen Idee von Raum und letztlich von Gesellschaft verhandeln lässt (Abb.5).

 

Abb. 5: Ausstellung Sofie Thorsen: 162 OUT OF 172 HOUSES ARE ON THE HIGH STREET..., 2005. Copyright as-if berlinwien

 

Literatur
Bourriaud, Nicolas: Relational Aesthetics. Dijon 2002.
Gau, Sønke: Institutionskritik als Methode. Hegemonie und Kritik im künstlerischen Feld. Wien 2017.
Grundei, Paul, Stephanie Kaindl, Barbara Steiner und Christian Teckert: Negotiating Spaces. Berlin 2010.

 

 

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