Archiv-Inszenierungen

Zugänge zu Online-Ressourcen zur Medienkunst im Kontext

Gabriele Blome (Linz/Köln)

 

 

 

Die Etablierung der Medienkunst ging einher mit dem Aufbau neuer Distributions-, Präsentations- und Produktionszusammenhänge. Ab Mitte/Ende der 1970er Jahre wurden Festivals gegründet, wie beispielsweise 1979 die Ars Electronica in Linz und das 1981 zunächst als Experimentalfilm-Workshop konzipierte European Media Art Festival. Die für die neuen Kunstformen geschaffenen Präsentationskontexte stellten nicht selten auch Produktionsmöglichkeiten zur Verfügung, wie die Galerie Oppenheim in Köln mit dem Studio Oppenheim ab 1974 oder die 1978 gegründete Initiative Montevideo, die sich zu einem Vertrieb für Videokunst entwickelte. An all diesen Orten wurde gesammelt – beispielsweise Werke für den Vertrieb, Dokumentationen von Werken, die zu einem Festival oder einem Preis eingereicht wurden, Aufzeichnungen von Aktivitäten und Aufführungen, Dokumente und Materialien, die im Arbeitsprozess angefallen sind. Mit dem wachsenden Interesse der kunsthistorischen Forschung an Medienkunst, dem drohenden Verfall der elektronischen Zeugnisse und mit dem Eintreten runder Gründungsjubiläen einzelner Institutionen rückt die Frage der Aufarbeitung dieser Sammlungen und Archive für Bildung und Wissenschaft immer stärker ins Bewusstsein. Damit werden auch Überlegungen im Hinblick auf die Zugänglichkeit via Internet sowie die Verknüpfung der Datenbanken untereinander zusehends virulent.

Traditionell erfolgen die Beschreibung und Dokumentation eines Sammlungs- oder Archivbestandes und seine Aufbewahrung und Erhaltung an getrennten Orten und in getrennten Strukturen. Die digitale Technik erlaubt es jedoch, nicht nur die Informationen über Werke und Dokumente (also Metadaten) zu erfassen, sondern – je nach Charakter des Artefaktes oder Dokuments – dieses ebenfalls im digitalen Medium zu repräsentieren und mit den entsprechenden Strategien für die digitale Langzeitarchivierung auch zu bewahren. Dokumentiert und archiviert wird mittels Datenbanksystemen, die zum Teil via Internet öffentlich zugänglich sind. Die verwendete Technik ist also zugleich Instrument der Speicherung, Dokumentation und Distribution und wird als solche auch von Community-Plattformen und Forschungsprojekten eingesetzt, um digitale Archive und Sammlungen aufzubauen. Dabei verschwimmt die Grenze zwischen Archiv und Sammlung. (1)

Die Internetplattform Rhizome fordert beispielsweise dazu auf, Werke für ihre Sammlung, genannt ArtBase, einzugeben. Jedes Werk wird Teil der Plattform und beim Profil des jeweiligen Urhebers gezeigt, für die Aufnahme in die Rhizome ArtBase gibt es jedoch ein Auswahlverfahren. Bei netzspannung.org werden einerseits gezielt Werk- und  Vortragsdokumentationen gesammelt, gleichzeitig wird der Hochschulwettbewerb „Digital Sparks“ vollständig online mittels der Internetplattform durchgeführt. Zudem steht jedem die Eingabe von Werken, Veranstaltungen und Konzepten samt multimedialem Dokumentationsmaterial offen. Die Liste vergleichbarer Beispiele ließe sich fortsetzen.

Da mit dem digitalen Speichern, dem Organisieren und Systematisieren der Information und ihrer Vermittlung via Datenbank-Interfaces immer auch Prozesse des Archivierens verbunden sind, steht die folgende Analyse unter dem Titel Archiv-Inszenierungen. Ich werde Archive vorstellen, die via Internet digitale Dokumente zugänglich machen, als auch Datenbanken, die nicht mit digitalen Artefakten verknüpft sind. Schließlich geht es um Medienkunst-Sammlungen, die sich im Netz präsentieren.

Ausgehend vom Online-Zugang zur Sammlung bzw. zum Archiv, das zumeist nur einen Teilbereich der Website einer Institution darstellt, wird untersucht, inwiefern die Zugänge, die unterschiedliche Betreiber zu ihren Online-Ressourcen bereitstellen, mit dem Charakter der Institution korrelieren. Wichtige Kriterien der Analyse des institutionellen Kontextes sind: die Hauptzielsetzung der jeweiligen Institution, die Bedeutung des Online-Archivs zur Realisierung ihrer Kernaufgaben und die Auswahl der Inhalte. Prinzipiell kann man unterscheiden zwischen Distributoren, Institutionsarchiven, Archiven in Forschungskontexten und Community-Plattformen, wobei die Übergänge fließend und Überschneidungen häufig zu finden sind. Motivationen, Intentionen und Zielgruppenorientierung der jeweils archivierenden oder sammelnden Institution manifestieren sich zum einen in dem der Datenbank zugrunde liegenden Datenmodell. Darin wird definiert, was die wesentlichen Entitäten (wie Personen, Werke, Veranstaltungen, Publikationen, Dokumente) sind, wie sie mit Metadaten beschrieben werden und in welche Relationen sie untereinander gesetzt werden können. In das Datenmodell fließen auch Modelle der Wissensorganisation des jeweiligen Gebietes ein, also Klassifikationen und Thesauri.
Dabei werden Aspekte von „Database Aesthetics“ behandelt, die Christiane Paul wie folgt definiert:

In discourse on digital art, the term is frequently used to describe the aesthetic principles applied in imposing the logic of the database to any type of information, filtering data collections, and visualizing data. In that sense, database aesthetics often becomes a conceptual potential and cultural form – a way of revealing (visual) patterns of knowledge, beliefs, and social behaviour. The term is seldom used to refer to the aesthetics of the database as structure itself, (…). [Paul 2007: 95]

Während Christiane Paul vornehmlich künstlerische Arbeiten auf der Basis von Datenbanken vorstellt, schließen die folgenden Überlegungen zwar an diesen Diskurs an, beleuchten jedoch
a) die Frage der Konfiguration von Datenbanken im spezifischen Kontext unterschiedlicher medienkultureller Institutionen - und untersuchen darüber hinaus exemplarisch,
b) inwiefern Visualisierungen digitaler Archive über die Repräsentation der Daten hinaus auch als Inszenierungen gelesen werden können.

 

I. Beschreibungsmodelle

Entscheidend für die Entwicklung von Zugängen ist die Konfiguration der Datenstruktur. Zumeist sind Datenstrukturen in dem hier untersuchten Bereich der Online-Ressourcen zur Medienkunst im Kontext der institutionellen Arbeitsabläufe gewachsen und daher heterogen. Die wenigsten der vorgestellten Online-Ressourcen wurden unter der Prämisse aufgebaut, einen Archiv- oder Sammlungsbestand unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu erfassen und zu beschreiben. Zudem sind herkömmliche Datenmodelle, die die Metadaten und Relationen allein im Hinblick auf das einzelne Werk oder Dokument organisieren, im Bereich der Medienkunst nicht immer ausreichend. Es kann für ein Institutionsarchiv gleichermaßen wichtig sein, alle Aktivitäten ebenso umfassend zu erfassen und zu beschreiben wie die Dokumente bzw. Werke, um die Dokumente den Aktivitäten zuzuordnen. Denn die konzeptionellen, personellen und technischen Rahmenbedingungen können einen wichtigen Kontext für die Produktion und Präsentation medienkünstlerischer Arbeiten bilden. In Veranstaltungen werden Werke z.B. als Performances aufgeführt oder manifestieren sich künstlerische Interventionen und Aktionen. Der Kontext sowie die Aufzeichnungen und Dokumente, die im Zusammenhang mit der Produktion/Aufführung entstehen, stellen bei ephemeren Werken häufig die einzigen verbleibenden Spuren dar.
Neben der Entscheidung über die Hauptentitäten im Datenmodell stellen die zur Beschreibung verwendeten Begriffssysteme und Vokabulare ein wesentliches Instrument dar, um systematische Zugänge zur Datenbank anbieten zu können. Jedoch gibt es bis dato keine überzeugenden allgemein gültigen Strategien zur Beschreibung von Medienkunst.
Das Variable Media Network hat ein Modell für Werke auf der Basis ephemerer Medien entwickelt, das die in der Kunstgeschichtsschreibung für traditionelle Kunstformen verwendeten Gattungen durch die Definition von acht medienunabhängigen Verhaltenseigenschaften ersetzt, die wie folgt lauten: networked, encoded, duplicates, performed, contained, reproduced, interactive, installed. (2) Darüber hinaus wurde ein Katalog zur Befragung von KünstlerInnen entwickelt, der allerdings vornehmlich darauf ausgerichtet ist, wesentliche Informationen zur Erhaltung des einzelnen Werkes festzuhalten.

Im Unterschied zum Vorschlag des Variable Media Network war das Ziel des Projektes Capturing Unstable Media, insbesondere den interdisziplinären Charakter elektronischer Kunst zwischen Wissenschaft, Technologie und Kunst herauszuarbeiten. (3) Entsprechend galt ein wesentliches Augenmerk bei der Entwicklung des Capturing Unstable Media Conceptual Model (CMCM) zur Beschreibung von Werken den technischen Komponenten sowie ihrer Entwicklung in Forschungs- und Entwicklungsprojekten, an denen die Institution beteiligt war. Werke, Veranstaltungen, Forschungs- und künstlerische Projekte werden generell als 'Projekte' erfasst. Dem prozessualen bzw. variablen Charakter medienkünstlersicher Arbeiten wird Rechnung getragen, indem sie in mehreren „Occurences“ auftreten können, die sich sowohl als OccuredProduct wie auch als OccuredActivity – gegebenenfalls auch mehrfach - manifestieren können.

Beide Modelle sind jedoch eher für die wissenschaftliche Dokumentation konzipiert, da sie eine sehr ausführliche Beschäftigung mit dem einzelnen Werk bzw. eine Zusammenarbeit mit dem Künstler/ der Künstlerin voraussetzen. Dabei kommt es weniger darauf an, die für Online-Zugänge wichtige Vergleichbarkeit bzw. Verknüpfung zwischen den Werken herzustellen und alle Werke in ähnlicher Tiefe zu erfassen, als vielmehr dem einzelnen Werk gerecht zu werden.

Für den Aufbau systematischer Zugänge in Online-Archiven ist die Bildung von Kategorien erforderlich. Der Aufbau und die Anwendung einer allgemeinen Klassifikation zur Medienkunst wird unter Experten des Faches jedoch auch kritisch diskutiert, da die Entwicklung von Klassifikationen maßgeblich dadurch beeinflusst wird, aus welcher Perspektive, für welche Funktionen und in welchem institutionellen Kontext sie erstellt werden. [Graham 2004] Daher folgt die systematische Erfassung und Beschreibung in Archiven zur Medienkunst bis dato immer spezifischen Forschungsinteressen und keinem allgemein gültigen Modell. (4) Die sich daraus ergebende Heterogenität der Datenstrukturen und Zugänge zu Medienkunst-Ressourcen führt einerseits zu einer Vielfalt an Repräsentationen und Zugängen, erschwert es aber andererseits bei der Vernetzung von Archiven archivübergreifende Zugänge zu schaffen. (5) Zudem stellt die Medienkunst ein sehr heterogenes Feld dar, in dem immer wieder neue Strategien und Technologien zum Tragen kommen, so dass ein für unterschiedliche Zwecke und Inhalte geeignetes Modell auch eine große Flexibilität aufweisen müsste.

 

 

II. Online-Ressourcen zur Medienkunst – Typen und Tendenzen

Distributoren

Distributoren verfügen über Sammlungen medienkünstlerischer Arbeiten, die für Ausstellungen und Screenings verliehen werden, wobei die Erträge zum Teil an die Künstler und zum Teil an die Institution fließen. Für Distributoren ist die Online-Darstellung der im Verleih befindlichen Werke ein wesentliches Instrument zur Realisierung des institutionellen Auftrags. Einige Distributoren verwalten zudem die Leihvorgänge in derselben Datenbank, auf die auch der Online-Katalog zugreift.

Aufgrund der Ausrichtung des Kunstsystems auf Künstlerpersönlichkeiten finden sich in allen Online-Ressourcen zur Medienkunst Listen mit den Namen von Künstlerinnen und Künstlern bzw. bieten alle Suchfunktionen eine gezielte Personensuche an. Eine ausschließliche Orientierung des Online-Zugangs auf Personen, Künstlergruppen und Werke ist jedoch nur zweckmäßig, wenn der Betreiber keine über die Darstellung des Bestandes hinausgehenden Ziele im Hinblick auf die Kontextualisierung, Vermittlung oder Erforschung des Datenbestandes verfolgt.

Formal lassen sich entitätenorientierte Zugänge dahingehend unterschieden, ob beispielsweise Listen zeigen, welche Personen und Werke im Bestand geführt werden oder ob Benutzer und Benutzerinnen nur über gezielte Suchanfragen herausfinden können,  welche Informationen die Datenbank bereit stellt. Beispielsweise präsentiert das inter media art institute (imai) in Düsseldorf seine zum Zweck der Distribution aufgebaute Sammlung von Single-channel-Videoarbeiten auf der Website in Form einer Künstlerliste. (6) Alternativ ist eine Suche nach Künstlern, Titeln und Schlagworten möglich. Vergleichbare Zugänge finden sich auch in den Online-Katalogen von Heure Exquise! (Mons-en-Baroeul) (7) und des Netherlands Media Art Institute (Amsterdam) (8) . Während ersterer keinerlei Bestandslisten anbietet, dafür jedoch eine differenzierte Suchfunktion, offeriert der Katalog des Amsterdamer Verleihs neben der Suchfunktion mittels Künstler- und Schlagwortliste auch einen Zugang zur Sammlung.

Im Hinblick auf die primäre Nutzergruppe der KuratorInnen ist eine gute Beschreibung und präzise Darstellung der im Vertrieb befindlichen Werke und Formate wesentlich, weniger jedoch die Bereitstellung darüber hinausgehender Informationen, da die Kontextualisierung, Bedeutungszuweisung und Vermittlung als Aufgabe der Nutzergruppe angesehen wird. Eine Reihe von Distributoren haben allerdings ihre Aktivitäten erweitert und veranstalten selbst Ausstellungen, Programme und Workshops, so dass sie zugleich über Dokumente zu diesen Veranstaltungen bzw. zur eigenen Institutionsgeschichte verfügen, die jedoch zumeist getrennt erfasst werden. (9)



Institutionsarchive

Institutionsarchive weisen demgegenüber eine wesentlich heterogenere Struktur auf. Im Zusammenhang mit den institutionellen Aktivitäten wie der Produktion und/oder Präsentation medienkünstlerischer Werke sowie der Durchführung von Wettbewerben, Vorträgen, Symposien und Workshops entstehen umfangreiche, zumeist elektronische oder digitale Dokumente und Dokumentationen. Der Charakter des Bestandes entspricht tendenziell dem eines traditionellen Archivs, allerdings messen Medienkunstinstitutionen häufig ihren innerinstitutionellen Vorgängen bei der Aufbereitung des Online-Archivs wenig Bedeutung bei. Die Websites der Institutionen dienen primär zur Kommunikation der eigenen Aktivitäten. Gibt es einen Online-Zugang zu den Dokumenten des Institutionsarchivs, wurde dieser zumeist erst retrospektiv in einem eigenen Projekt aufgebaut, da der Archivierung der eigenen Arbeit im alltäglichen Betrieb nur eine nachgeordnete Bedeutung zukommt. (10)

Aus der Struktur der jeweiligen Aktivitäten ergibt sich zumeist die primäre Struktur der Online-Darstellung. Der Bereich Archiv der Webseite der Ars Electronica (11) ist beispielsweise nach den vier Kernaktivitäten Prix Ars Electronica, Festival Ars Electronica, Ars Electronica Futurelab und Ars Electronica Center strukturiert. Streng historisch gegliedert werden in jedem Jahr die Texte des Festivalkatalogs, der Publikation zum Prix Ars Electronica sowie die Festivalprogramme präsentiert. Die Projekte des Futurelab sind alphabetisch und die aus dem Bereich des Ars Electronica Centers chronologisch geordnet. Zudem wird ein personenorientierter Zugang angeboten und ein separates Bildarchiv.

Das Online-Archiv der Daniel Langlois Foundation (12) verknüpft demgegenüber die Darstellung der durch die Institution geförderten Projekte und Publikationen mit der Präsentation der in den Forschungsprojekten aufgearbeiteten Archivbestände. Die Homepage bietet einen Zugang zu KünstlerInnen und Werken an, der jedoch nur die von der Stiftung geförderten künstlerischen Projekte auflistet, nicht aber die in Forschungsprojekten bearbeiteten Werke und erfassten Veranstaltungen. Diese sind in einem eigenen, hauptsächlich textorientierten Bereich dargestellt, können aber auch zusätzlich über den Zugang auf der Homepage über Themen und Publikationen recherchiert werden.

Ein interessantes Konzept zwischen Distributionskatalog und Darstellung der institutionellen Aktivitäten hat das Argos Center for Art and Media entwickelt. Die Brüsseler Einrichtung stellt zusätzlich zu den im Vertrieb befindlichen Werke Informationen darüber bereit, für welche Ausstellungen bzw. Screenings die Werke ausgeliehen wurden. Das Webinterface zur Datenbank präsentiert also nicht nur den Online-Katalog, sondern vermittelt einen Einblick in den Kunstbetrieb als soziales Netz und geografische Struktur, beides wird jedoch nicht visualisiert und muss daher vom Betrachter gezielt recherchiert werden.

Generell erfolgt die Kontextualisierung von Werken in Institutionsarchiven hauptsächlich innerhalb des Archivs bzw. im Rahmen der eigenen Aktivitäten – Referenzen auf nicht im Archiv befindliche Informationen werden nur selten gegeben. Die Aktivitäten der Institution bilden also den Hauptkontext. Dies gilt auch für das Archiv des V2 Institute for Unstable Media (13) in Rotterdam, das 2003 in dem Forschungsprojekt Capturing Unstable Media (14) aufgearbeitet  wurde. Neben der Entwicklung eines Beschreibungsmodells für medienkünstlerische Produktionen erfolgte die Definition und Erfassung der Metadaten zu allen Objekttypen sowie die Entwicklung eines kontrollierten Vokabulars. Sie bilden die Grundlage für einen systematischen Zugang, der im Datenmodell mit den institutionellen Aktivitäten – sowohl öffentlichen Veranstaltungen wie den Forschungs- und Entwicklungsprojekten – verknüpft wurde.

 

 

Datenbanken im Forschungskontext

Die für die Entwicklung systematischer Zugänge erforderliche Entwicklung von Beschreibungsmodellen und die zeitintensive Aufarbeitung und Einpflege der Daten ist zumeist nur im Forschungskontext möglich. Bei Archiven, die einzig im Kontext geisteswissenschaftlicher Fragestellungen aufgebaut wurden, spiegeln sich die jeweiligen Forschungsfragen in der Datenstruktur und den bereitgestellten Zugängen. So stellt das Online-Informationssystem zur österreichischen Medienkunst mediafiles.at (15) nicht die KünstlerInnen sondern vielmehr deren Projekte in den Mittelpunkt der Darstellung. Dem Selbstverständnis nach ist mediafiles.at nicht als Archiv oder Datensammlung gedacht, sondern „als eine dynamische Topografie von künstlerischen Beiträgen als kulturhistorische Modelle, Konzepte und Operationen“. (16) Entsprechend wird nicht nur auf den Art & Architecture Thesaurus des Getty Research Institute verwiesen und nach Medien und Typen klassifiziert, sondern auch eine thematische Verschlagwortung vorgenommen, die die gesammelten künstlerischen Projekte im Hinblick auf das thematische Interesse des Forschungsprojektes an den „Neuformulierungen von künstlerischen Dispositiven unter dem Einfluss einer sich abzeichnenden Mediengesellschaft“ (17) strukturiert. Die Organisation des Datenbestandes im Hinblick auf die Vermittlung bestimmter Inhalte steht ebenfalls bei Medien Kunst Netz im Vordergrund. Das Projekt weist jedoch einen primär narrativen Zugang auf, indem die Inhalte hauptsächlich entlang thematischer Achsen organisiert sind. (18) Demgegenüber ist die Datenbank der Virtuellen Kunst (19) als Forschungssammlung konzipiert. Oliver Grau beschreibt sie als eine „Vorstufe für die systematische Sammlung von Gegenwartskunst“ auf der Basis eines erweiterten Dokumentationsbegriffs [Grau 2004], der aber im Unterschied zum CMCM den Hauptfokus auf das Zusammentragen umfangreichen Dokumentationsmaterials legt und nicht darauf, den veränderten Werkbegriff in das Datenmodell zu überführen. Im Zuge seiner Forschungen hat er ein differenziertes Begriffssystem von ästhetischen Kategorien, Genres, Schlagworten sowie technischen Begriffen entwickelt, die für strukturierte Suchanfragen genutzt werden können. (20)

 

 

Community-Plattformen

Bei allen bislang vorgestellten Typen liegt die Definitionsmacht ausschließlich beim Betreiber der Online-Ressource. Partizipationsangebote weisen zurzeit hauptsächlich solche Plattformen auf, die explizit als kollaborative Plattformen konzipiert sind. Sie bieten Mitgliedern der Community unterschiedliche Möglichkeiten zu partizipieren und am Aufbau des Archivs bzw. der Sammlung mitzuarbeiten. Die Mechanismen und Prozesse, die definieren, was in den Bestand aufgenommen wird, sind unterschiedlich offen bzw. restriktiv. Die Zielsetzung der Community und der Betrieb der Online-Ressource sind eng miteinander verknüpft.

Rhizome Artbase (21) oder runme.org (22) sind solche Plattformen, deren Bestand nicht primär von den Betreibern selbst, sondern von im jeweiligen Kunstkontext arbeitenden KünstlerInnen aufgebaut wird. Bei der Eingabe ihrer Werke können KünstlerInnen auf ein vordefiniertes Begriffsystem zugreifen und zusätzlich eigene Schlagworte vergeben.
Rhizome ArtBase unterscheidet zwischen „Rhizome Terms“ and „Artist Terms“ (23), während runme.org eine Taxonomie für die auf der Plattform gesammelte Software Art bereitstellt und den KünstlerInnen zusätzlich die Definition und Zuweisung eigener Schlagworte  ermöglicht. In beiden Plattformen werden die unterschiedlichen Klassifizierungssysteme genutzt, um der vom Betreiber definierten Wissensstruktur einen communitybasierten Zugang gegenüber zu stellen.

 

 

III. Visuelle Zugänge

Die bisher vorgestellten Online-Ressourcen bieten Zugänge, die den Datenbestand repräsentieren, indem die Metadaten und Wissensstrukturen in Auflistungen, Suchfunktionen und Navigationsmöglichkeiten überführt werden. Sie bedienen klar definierte Rechercheinteressen und laden weniger zum Stöbern und Erkunden ein. Die AutorInnen von netzspannung.org beschreiben den Unterschied wie folgt:

Grundsätzlich existieren zwei Arten des möglichen Zugangs zu elektronisch gespeicherten Daten: "scharfes" Suchen und "unscharfes" Stöbern. Das Suchen setzt voraus, dass die NutzerInnen wissen, was sie suchen, dass sie Interessen formulieren und gegebenenfalls präzisieren oder ausweiten können. Beim Stöbern oder Browsen hingegen geht es darum, dass die NutzerInnen sich von dem, was ihnen unterbreitet wird, führen und inspirieren lassen: "Ich suche nicht, ich finde," beschrieb Pablo Picasso diese Haltung für seine künstlerische Arbeit. (24)

Der Begriff des ’explorativen Interfaces’ bezieht sich also vornehmlich darauf, wie sich der Benutzer dem Datenbestand nähert. Er besagt jedoch nichts über die Qualität des Ergebnisses. Ist das Interface beispielsweise primär so konfiguriert, dass ein einzelnes Artefakt gefunden wird, das über eine klare Suchanfrage nicht beschrieben und folglich nicht gefunden hätte werden können? Oder vermittelt es zusätzliche Einsichten, die nicht explizit in die Datenbank hineingeschrieben wurden bzw. können neue Erkenntnisse aus dem Datenbestand herausgelesen werden? Diese Interfaces können unter dem von Sybille Krämer entwickelten Begriff der ’operativen Bildlichkeit’ gefasst werden, den sie durch sechs Aspekte charakterisiert. Im Hinblick auf den Aspekt der Operabilität stellt sie fest: „Bei operativen Bildern geht es um mehr als Repräsentation. Sie eröffnen die Möglichkeit des instrumentellen oder reflexiven Umgangs mit dem Repräsentierten; es geht um Konstitutionsleistungen.“ [Krämer 2009: 104]

Zur Untersuchung dieser Fragen kann jedoch im Kontext von Online-Ressourcen zur Medienkunst bisher nur auf wenige Beispiele explorativer Interfaces zurückgegriffen werden. Dergleichen Zugänge stellen vornehmlich solche Online-Ressourcen zur Medienkunst bereit, in deren institutionellem Kontext KünstlerInnen mit einem spezifischen Interesse an Visualisierungen arbeiten bzw. die KünstlerInnen für ein entsprechendes Projekt beauftragt haben. Das sind beispielsweise die Ars Electronica, netzspannung.org und der Whitney ArtPort, wobei die vorgestellten Beispiele zum Teil bereits fünf Jahre alt sind. Es gibt in angrenzenden Bereichen aktuellere Beispiele, in die neuere Entwicklungen im Bereich der Interface-Visualisierung bereits eingeflossen sind, wie beispielsweise die Facettensuche des Projektes Metadata for Architectural Contents in Europe (MACE) (25) oder der visuelle Browser ArtScope, den das San Francisco Museum of Modern Art den Online-Besuchern zum Durchstöbern der Sammlung bietet. (26)

 

 

Zeitbasierte Interfaces

Zeitbasierte Darstellungen finden sich in allen drei genannten Online-Ressourcen: Der Bereich Archiv der Ars Electronica Website präsentiert den Ars Electronica Navigator, eine Timeline, die die an den institutionellen Aktivitäten beteiligten Personen sowie die präsentierten Projekte und Katalogtexte nach Jahren gegliedert recherchierbar macht. (27) Der linke Teil des Interfaces ist in Jahressegmente untergliedert, die jeweils nur einzeln aufgerufen werden können. In jedem Jahressegment sind die drei Entitäten in Reihen übereinander angeordnet. Wird eine Reihe angeklickt, weitet sie sich zu einem breiten horizontalen Band, das alle Namen oder Titel in alphabetischer Ordnung präsentiert. Das Anklicken eines Namens modifiziert die Darstellung in einem weiteren, rechts angeordneten Feld. Der im linken Feld ausgewählte Begriff wird hier je nach Person, Artikel oder Projekt als Kreis, Dreieck oder Quadrat ins Zentrum der graphischen Darstellung gestellt. Von ihm gehen Linien strahlenförmig ab, an deren Enden sich wiederum geometrische Körper befinden, die jene Projekte, Personen, Artikel repräsentieren, die mit dem Ausgewählten verknüpft sind. Das Interface ist also ein Instrument, um in der Datenbank abgelegte Verknüpfungen sichtbar zu machen und zeigt damit auch Ansätze einer Netzwerkvisualisierung. Jedoch übersetzt es lediglich einzelne Informationstypen in visuelle Formen, z.B. die zeitliche Dimension in eine horizontale Anordnung auf einem Zeitstrahl und die einzelnen Entitäten in unterschiedliche geometrische Repräsentationen. Damit werden zwar Strukturen und Überblicke sichtbar und Überblicke geschaffen, jedoch keine zusätzlichen Einblicke generiert.

Die von Martin Wattenberg für den Artport des Whitney Museums entwickelte Net Art Idea Line (28) verbindet demgegenüber die zeitliche Anordnung von Netzkunst-Projekten mit einer thematischen Strukturierung in einer Ansicht und lotet damit das Potential eines synchronoptischen Interfaces aus. Die dargestellten Projekte, die entweder auf einen Aufruf hin eingereicht oder wegen ihrer Relevanz nachrecherchiert wurden, sind entlang horizontal gespannter Fäden nach Themen oder Technologien organisiert und vertikal durch ein Raster in Jahre untergliedert. Gleitet die Maus über einen Faden, so öffnet sich die Linie zu einem horizontalen Streifen, der alle mit dem Thema verbundenen Projekte chronologisch präsentiert. Sind in einem Jahr mehrere Projekte zu einem Thema vorhanden, werden diese übereinander aufgelistet. Der horizontale Streifen öffnet sich an dieser Stelle so weit, dass alle Projekte sichtbar werden und die horizontalen Fäden Wellen schlagen. Von dieser Ansicht ausgehend können Detailinformationen zu einzelnen Projekten aufgerufen werden. Diese Anordnung wird in drei grafischen Varianten angeboten, genannt „fan“, „flat“ und „totals“. Im Unterschied zu den anderen hier vorgestellten Interfaces reagiert die Darstellung auf kleinste Bewegungen der Maus, wodurch die Suche einen dynamischen und spielerischen Charakter erhält, der durch die variablen Ansichten noch unterstützt wird.

Während die „fan“-Ansicht die Fäden links außerhalb des Interfaces in einem imaginären Anfangspunkt zusammenlaufen lässt, um am rechten – jüngsten – Ende (datiert auf 2002) weit aufgefächert alle Themen aufzulisten, organisiert die „flat“-Darstellung alle Fäden parallel zur Bildhorizontale. Die Helligkeit eines Fadens wird für jedes Jahr berechnet. Je heller ein Abschnitt, umso mehr Projekte, die in diesem Jahr entstanden sind, referenzieren auf das Thema des jeweiligen Themenfadens. Während diese Ansicht durch die Helligkeit der Linie sehr gut sichtbar macht, wann welches Thema mehr oder weniger stark behandelt wurde, liegt der Schwerpunkt der Totalansicht darauf, die Menge der Projekte in allen Jahren durch die Breite des Themenbereichs deutlich zu machen. Aber auch hier sind die Fäden umso heller, je mehr Projekte zu einem Thema vorhanden sind. Die Net Art Idea Line verortet also nicht nur einzelne Projekte in einem Themen-Zeit-Raster, sie bietet dem Benutzer darüber hinaus einen Einblick in die Menge und thematische Orientierung der künstlerischen Arbeiten in diesem Feld. Das Interface schafft nicht nur einen Zugang zum stöbernden Recherchieren im gesamten Datensatz, sondern zeigt auch Tendenzen innerhalb der vorgestellten Kunstgattung. Dabei trägt es Vorstellungen Rechnung, die mit dem Phänomen Zeit verbunden sind, wie beispielsweise Prozess, Veränderung, Entwicklung, indem sowohl die thematische Verschiebungen wie auch die zeitlichen Häufungen sichtbar werden.

Einen völlig anderen Umgang mit Zeit zeigt der Medienfluss-Browser (29) auf netzspannung.org. Zeit ist hier nicht in einem Schema repräsentiert, Zeit wird vielmehr als Darstellungs- und Rezeptionszeit erfahrbar. Die Metapher des Gedankenflusses aufgreifend lässt der Medienfluss-Browser in Echtzeit Bilder und Worte über den Bildschirm fließen. Das Interface ist horizontal in vier Bereiche gegliedert: Im oberen Teil befinden sich vier Bildreihen, darunter jeweils drei Zeilen mit Titeln, Personen und Keywords, wobei jeder Wortgruppe eine eigene Farbe zugeordnet ist. Alle Zeilen bewegen sich langsam und mit geringfügig variierender Geschwindigkeit von links nach rechts über den Bildschirm. Wird ein Begriff angeklickt, so erklingt eine synthetische Stimme, die die aktivierten Namen und Begriffe gleich welcher Sprache in deutscher Phonetik ausspricht. Das ausgewählte Wort bewegt sich ins Zentrum der Reihe, in der es angeordnet ist, während in den anderen Reihen mit dem selektierten Objekt in Verbindung stehende Titel, Personen oder Keywords angezeigt werden, die ebenfalls vorgelesen werden. Der gleiche Prozess vollzieht sich bei der Auswahl eines Bildes aus dem Bilderfluss. Navigiert man weiter und wählt einen Titel oder ein Bild aus, wird der damit verknüpfte Datenbankeintrag aufgerufen. Nach dem Aufrufen eines Keyword aus der Startansicht des Medienflusses werden nicht alle damit verbundenen Namen oder Projekte gezeigt, sondern nur jeweils fünf verknüpfte Projekte bzw. Namen. Ruft man das gleiche Keyword im Archiv-Browser der Plattform auf, wird ein Vielfaches an verknüpften Namen und Projekten aufgelistet. Auffallend ist, dass Namen und Projekte, die in einem direkten Zusammenhang mit der betreibenden Institution stehen, häufiger angezeigt werden. Dies legt die Vermutung nahe, dass bei der Auswahl der mit einem Keyword verknüpften Werke kein zufälliger Prozess ausgelöst, sondern eine gezielte Auswahl getroffen wird, was jedoch für BenutzerInnen nicht transparent wird. Das Interface vermittelt also eine begrenzte Einsicht in die in der Datenbank angelegten Verknüpfungen.

Dabei wird nur wenig Gelegenheit zum aktiven Stöbern gegeben. Beispielsweise gibt es keine Möglichkeit, den Fluss der Wörter und Bilder gezielt vor oder zurück zu bewegen. Dem Fließen der Daten von links nach rechts kann der Benutzer wie einem Film oder einer Aufführung folgen, wobei die synthetische Stimme den Aufführungscharakter unterstreicht und das Archiv auf einer weiteren Ebene sinnlich erfahrbar macht. Vor der Realisierung des Medienflusses als Webinterface für netzspannung.org wurde er als interaktive Rauminstallation in Ausstellungen gezeigt. Dabei steigerte die akustische Ebene die Präsenz des Archivs im Raum.

 

 

Netzwerkvisualisierungen

Ein weiteres Modell zur Visualisierung von Datenbankinhalten ist das Netzwerk, in der Fachterminologie ’Graph’ genannt. Es besteht aus Knoten und Kanten, wobei die Kanten die Verbindungen zwischen Knoten darstellen. 2006 haben Dietmar Offenhuber und Gerhard Dirmoser mit Sema Space (30) eine semantische Netzwerkvisualisierung der wesentlichen, in den Katalogtexten der Ars Electronica vorkommenden Begriffe und Namen entwickelt.

Grundlage bildete ein von Gerhard Dirmoser erarbeiteter Thesaurus, der sowohl aus inhaltlichen Schlüsselbegriffen, datierten technischen Begriffsclustern (Medien-/Informatik-Begriffen und anwendungsgeschichtlich relevanten Techniken) sowie aus Personen- und Projektnamen bestand. Begriffe und Begriffscluster werden als Knoten dargestellt, die Kanten definieren die Verknüpfungen. Die Visualisierung zeigt Begriffe im Kontext von  Begriffsclustern sowie die Beziehungen untereinander und sie legt die Relevanz einzelner Begriffsfelder oder Techniken in bestimmten Perioden offen. Sichtbar wird auch ein soziales Netzwerk, indem die Verbindungen von Personen zu Projekten und über diese zu weiteren Personen dargestellt werden. Die Ansicht ist justierbar, beispielsweise kann der Benutzer zwischen zwei- und dreidimensionaler Ansicht zu wählen, die Darstellung auf eine Suchanfrage hin eingrenzen oder einzelne Aspekte der Darstellung aktivieren oder deaktivieren. Zurzeit entwickelt Dietmar Offenhuber mithilfe von Sema Space auf der Basis von Datensätzen der Ars Electronica eine Darstellung, die das soziale Netzwerk der an den Jurys des Prix Ars Electronica beteiligten MitgliederInnen visualisiert und zu den von ihnen ausgezeichneten Projekten bzw. KünstlerInnen in Beziehung setzt. SEMA SPACE ist also kein Archivinterface, sondern ein Werkzeug zur Analyse von Archivinhalten. (31)

 

 

Kartographische Interfaces

Kartografische Darstellungen repräsentieren raumbezogene Informationen auf einer definierten Fläche, wobei der referenzierte Raum sowohl eine reale geografische Situation wie auch ein semantisch definierter abstrakter Raum sein kann. Die meisten kartografischen Darstellungen basieren auf qualitativen Daten. Im Unterschied dazu und zu den bisher beschriebenen Interfaces, die ausschließlich in der Datenbank verankerte Strukturen für die Visualisierung nutzen, kommt die Semantic Map auf netzspannung.org mit einem weniger strukturierten Datensatz aus. (32) Diese Visualisierung gruppiert die Datenbankeinträge auf einer Fläche in Cluster, die mit den wichtigsten, aus dem gesamten Textkorpus extrahierten Begriffen semantisch charakterisiert sind. In der Übersichtsansicht ist jeder Datenbankeintrag durch einen Punkt repräsentiert, dessen Anordnung durch seine Ähnlichkeit zu allen anderen Datenbankeinträgen definiert ist. Diese Ähnlichkeit wird auf der Basis einer automatischen Analyse der die Projekte und Veranstaltungen beschreibenden Texte definiert. Die Anordnung in der zweidimensionalen Fläche wurde mithilfe der Kohonen Map (33) vorgenommen, die auf einem künstlichen neuronalen Netz (34) aufbaut. Zoomt der Benutzer in die Karte hinein, werden zusätzliche Informationen sichtbar. Mit der Auswahl eines Datenbankeintrages wird dieser in den Mittelpunkt gesetzt, während zusätzlich nur jene Datenbankeinträge angezeigt werden, deren Beschreibungen gemäß den Kriterien der Textanalyse als ähnlich identifiziert wurden.

In einem Fenster rechts der Karte werden zudem Titel, Autor und Kurzbeschreibung sowie ein Link zum gesamten Datenbankeintrag sichtbar. (35) Aber auch eine umgekehrte Herangehensweise ist möglich, indem der Benutzer ein ihm bekanntes Projekt per Suchanfrage in der Karte verortet und, davon ausgehend, das als ähnlich definierte Umfeld durchstöbert.

Die Semantic Map ist einerseits ein Vorschlag für einen semantischen Zugang zu einem wenig systematisch erfassten Datenkonvolut und zugleich ein Versuch, semantische Ähnlichkeiten zwischen Beschreibungen aufzuspüren, die in einer systematischen Kategorisierung niemals miteinander in Beziehung gebracht würden. So sind beispielsweise um den Datenbankeintrag zu Maurice Benayouns Vortrag From Virtual to Public Space. Towards an Impure Art so unterschiedliche Projekte lokalisiert wie die technische Plattform i2TV – Interactive Internet TV, Archeoguide, Die Sternkirche von Otto Bartning und die vernetzte interaktive Installation Time & Time Again von Lynn Hershman.

 

IV. In Szene setzen – Content und Kontext

Zugänge von Online-Ressourcen zur Medienkunst sind eingebettet in institutionelle Kontexte und daher mehr als nur Datenrepräsentationen. Sie können als Manifestationen des institutionellen Selbstverständnisses gelesen werden, das nicht explizit formuliert sein muss, sondern das sich beispielsweise auch in die Dichte und Art von Datenstrukturen einschreibt. In der Aufarbeitung des Institutionsarchivs und der Erarbeitung allgemein gültiger Beschreibungskategorien, wie sie beispielsweise im Rahmen des Forschungsprojektes von V2 angestrebt wurden, manifestiert sich u.a. auch ein Definitionsanspruch der Institution, der als ein Element im ‚Betriebssystem Medienkunst’ gelesen werden kann. (36) Zum anderen dokumentiert die Aufarbeitung des eigenen Archivs auch die Auffassung, dass die Institution einen wesentlichen kulturhistorischen Beitrag geleistet hat und daher das Archiv für Bildung und Forschung zugänglich sein muss. Entsprechend verfolgen Institutionen wie NMKI, Argos und die Ars Electronica, die ebenfalls mit der Aufarbeitung ihrer Archive bzw. Sammlungen begonnen haben, nicht nur das Ziel der institutionellen Selbstdarstellung. Vielmehr leiten sie aus der kulturhistorischen Bedeutung ihrer Archive einen allgemeinen gesellschaftlichen und zum Teil auch edukativen Auftrag ab. (37) 

Jedoch, um mit Peter Matussek zu sprechen, „Inszenieren heißt nicht nur, etwas in Szene setzen, sondern auch jemanden in eine Szene versetzen.“ [Matussek 2001: 307] Im Rückgriff auf C. E. Shannon, der unter den übertragenen Daten nur solche als Information charakterisierte, die dem Empfänger zuvor unbekannt waren, definiert er ’Information’ als „persönlich interpretierte und hinsichtlich ihrer Wahrnehmungsintensität evaluierte Daten“. Der Begriff der ’Inszenierung von Information’ kann einerseits „die Technik der szenischen Darbietung von Daten beschreiben“ und andererseits, im Hinblick auf seinen Untersuchungsgegenstand, den 'performative turn' der Erinnerungskulturen, das „Phänomen der (dadurch hervorgerufenen, aber nicht darin aufgehenden) Aktivierung von subjektiven Erinnerungsvollzügen", d.h. eine „von ihnen inszenierte Imagination.“ [Ebenda: 308]

Robert Spence skizziert in seiner Einführung zur Informationsvisualisierung ebenfalls beide Aspekte: „The execution of any task involving information visualization will be motivated by the user’s intention and influenced by many factors. One of these is the user’s internal model. Another is the visible externalization of some data.” [Spence 2001: 104] Visuelle Zugänge zu Online-Ressourcen nicht nur zur Medienkunst müssen sich also auch daran messen lassen, inwieweit es ihnen gelingt, beim Benutzer mentale Modelle bzw. Metaphern zu referenzieren, die die Konstitution von Bedeutung und Sinnzusammenhängen ermöglichen.

Da  jeder Zugang – ob entitätenorientiert, systematisch oder visuell – eine spezifische Perspektive auf den Inhalt und zum Teil auch auf den Kontext der Datenbank repräsentiert, kann die Idee eines ’beweglichen Zugangs’ zum Online-Archiv in Form unterschiedlicher Zugänge und Explorationsmöglichkeiten Gestalt annehmen, wobei diese allerdings ineinander greifen müssten, um Perspektivwechsel zu ermöglichen.

 

 

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1 Gemäß der allgemeinen Definition ist das Archiv eine „Einrichtung, die der systematischen Erfassung, Ordnung, Verwahrung, Betreuung und Erschließung von Schrift-, Bild- und Tongut staatl. Dienststellen, anderer Institutionen (Verbände, Unternehmen) oder Einzelpersonen dient; […] Ein Archiv erwächst meistens organisch aus dem laufenden Geschäftsverkehr;…“;“ [Brockhaus. Enzyklopädie in 30 Bänden. 21. völlig neu bearb. Aufl., Leipzig, Mannheim 2006, Bd. 2, 357] Folgt man dem Begriff des Sammelns von Manfred Sommer, vorgelegt in seinem Buch „Sammeln“, dann ist das ästhetische Sammeln ein Zusammentragen zum Zwecke der Anschauung [vgl. Sommer, 1999, Kap. 1], und das Archiv kann als eine spezifische Form der Sammlung angesehen werden. Demgegenüber definierte jedoch Michel Foucault Archiv als „das Gesetz dessen, was gesagt werden kann.“ (M. Foucault: Archäologie des Wissens. 12. Aufl. Frankfurt/M. 2005 (1. Aufl. Frankfurt/M. 1973). S. 187) Dabei ist das Archiv „nicht das, was trotz des unmittelbaren Entrinnens das Ereignis der Aussage bewahrt und ihren Personenstand als den einer Ausbrecherin für die künftigen Gedächtnisse aufbewaht.“ „Es ist das allgemeine System der Formation und der Transformation der Aussagen.“ (Ebenda S. 188).

2 http://www.variablemedia.net/e/welcome.html, Link „terms“ wählen.

3 “However, different from VMI, the primary goal of this research project is not to "embrace diverse histories of the moving image while responding to new developments within artistic practice globally" 21, but rather to develop an appropriate capturing model for electronic art, as shown or (co)produced at V2_ in the last two decades. The projects selected for analysis are characterized by their interdisciplinary nature. They not only explore and settle new (visual) worlds of representation, but also involve technologies that manipulate physical things, for example: robotics, nanotechnology, biotechnology.” Aus: Deliverable 1.2. Documentation and capturing methods for unstable media arts, S. 9. http://archive.v2.nl/v2_archive/projects/capturing/1_2_capturing.pdf, zuletzt besucht am 16.03.2009.

4 Katja Kwastek hat beispielsweise im Rahmen ihres Forschungsprojektes zur Ästhetik der interaktiven Kunst eine Taxonomie für dieses Genre entwickelt. Einen Einblick in das Klassifikationssystem und seinen Nutzen für die wissenschaftliche Beschreibung und Erforschung interaktiver Arbeiten vermittelt ihr in Kürze erscheinender Aufsatz. Katja Kwastek: „Classification vs. Diversification: Do humanities need taxonomies?“ In: Beyond the Screen: Transformations of Literary Structures, Interfaces and Genres. Peter Gendolla und Jörgen Schäfer (Hg.). Bielefeld: transcript, 2009 (im Druck).

5 Für September 2009 ist der Launch des Gateway to Archives of Media Art (GAMA) geplant. Im Rahmen eines EU-Projektes wird zurzeit daran gearbeitet, zunächst acht Archive bzw. Sammlungen unterschiedlicher europäischer Institutionen in einem Portal recherchierbar zu machen. Dies erforderte die Entwicklung eines Datenmodells, das mit den unterschiedlichen Strukturen der zu vernetzenden Datenbanken kompatibel ist. http://www.gama-gateway.eu/

9 Das Brüsseler Argos Center for Art and Media speichert in seiner Datenbank beispielsweise ebenfalls die eigenen Ausstellungen wie auch Informationen zu Transport, Bezahlung und Versicherung der verliehenen Werke.. Das Netherlands Media Art Institute arbeitet daran, seine Datenbank um Informationen zu erweitern, die im Dokumentationszentrum der Institution verfügbar sind, wie beispielsweise Biographien, Kataloge und Bücher zu den KünstlerInnen.

10 Zurzeit arbeiten beispielsweise das European Media Art Festival, des ZKM-Institut für Musik und Akustik sowie das documenta Archiv zusammen mit dem Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest im Rahmen des Projektes Mediaartbase an der Aufarbeitung ihrer Archive. http://www.mediaartbase.de

14 Capturing Unstable Media, http://capturing.projects.v2.nl/

16 http://mediafiles.at/php/index.html, Zitat unter Menüpunkt “Info”.

17 Ebenda.
19 http://www.virtualart.at/

20 Es steht jedoch nur ein Teil der Dokumente, die KünstlerInnen dem Projekt zur Verfügung gestellt haben, für die öffentliche Nutzung zur Verfügung.

21 http://rhizome.org/art/

22 http://www.runme.org/

23 http://rhizome.org/art/rhizome_vocabulary.php

24 Zitat aus „Werkzeuge zur Wissenserschließung“, in: http://netzspannung.org/about/tools/, zuletzt besucht am 17.03.2009.

25 http://portal.mace-project.eu/ProjectSearch#

26 http://www.sfmoma.org/pages/artscope

27 http://90.146.8.18/de/archives/navigator.asp

28 http://artport.whitney.org/commissions/idealine.shtml#

29 http://medienfluss.netzspannung.org/index.html

30 Das Projekt ist beschrieben unter http://residence.aec.at/didi/FLweb/, wo die Applikation auch zum Herunterladen angeboten wird und eine Videodokumentation einen Einblick in die Funktionalitäten bietet. Screenshots dokumentieren das Projekt unter: http://193.170.99.168/vis/node/8.

31 Dies ist ein Projekt der Forschungslinie „Knowledge Representaion und visuelle Interfaces“ am Ludwig Boltzmann Institut Medien.Kunst.Forschung. in Linz, die von Dietmar Offenhuber geleitet wird. http://193.170.99.168/vis/node/1

32 http://netzspannung.org/about/tools/semantic-map/

33 Die Kohonen Map ist eine selbstorganisierende Karte, die von Teuvo Kohonen entwickelt wurde. T. Kohonen, Self-Organization and Associative Memory, New York: Springer, 1989

34 http://www.itwissen.info/definition/lexikon/Neuronales-Netz-artifical-neural-networks.html

35 Für eine genauere Beschreibung des Interfaces vgl. http://netzspannung.org/about/tools/semantic-map/

36 Der Begriff ‚Betriebssystem Medienkunst’ schließt an systemanalytische Untersuchungen der Kunst bzw. Kunstinstitutionen an, wie sie inzwischen vermehrt vorliegen und diskutiert werden (Vgl. u.a. dazu einen Überblick in „kritische berichte“ Heft 4/2008). Die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Barbara U. Schmidt untersucht im Rahmen ihres Forschungsprojektes „Betriebssystem Ars Electronica“ die Institutionalisierung der Medienkunst am Beispiel der Ars Electronica in Linz. Dabei verbindet sie Verfahren der Diskursanalyse und der Institutionsanalyse, um die impliziten Logiken der Diskurse über Kunst und Technologie und die Funktion institutioneller Strukturen sichtbar zu machen, die zur Formierung „der Medienkunst“ beitragen. http://media.lbg.ac.at/de/content.php?iMenuID=95&iContentID=93

37 Auf Anfrage gaben G. Wijers vom NMKI, R. Vissers vom Argos Center for Art and Media sowie C. Monniez u. C. Parent von Heure Exquise! neben Distribution Bildung als wesentlichen Zweck der Datenbanken an.

 

Literaturangaben

Graham, Beryl: “Taxonomies of New Media Art - Real World Namings.” In J. Trant and D.
Bearman (Hg.). Museums and the Web 2005: Proceedings. Toronto, 2005, publiziert am 31. März 2005 auf: http://www.archimuse.com/mw2005/papers/graham/graham.html, zuletzt besucht am 16.03.2009.

Grau, Oliver: „Für den erweiterten Dokumentationsbegriff – „Datenbank für Virtuelle Kunst“
Publiziert auf netzspannung.org: http://netzspannung.org/positions/digital-transformations, 02. Dezember 2004, zuletzt besucht am 16.03.2009.

Krämer, Sibylle: „Operative Bildlichkeit. Von der ‚Grammatologie’ zu einer ‚Diagrammatologie’. Reflexionen über erkennendes Sehen.“ In: Logik des Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft. Martina Heßler und Dieter Mersch (hg.). Bielefeld 2009, 94 - 122.

Matussek, Peter: „Performing Memory.“ In: Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, 10, H. 1: Theorien des Performativen. Erika Fischer-Lichte und Christoph Wulf (Hg.). 303 - 334.

Paul, Christiane: “The Database as System and Cultural Form: Anatomies of Cultural Narratives.” In: Vesna, Victoria: Database Aesthetics: Art in the Age of Information Overflow. Minneapolis (Minnesota) 2007. 95 – 109.

Spence, Robert: Information Visualization. Harlow, London, New York 2001.