IV. DIGITALE ARCHIV-SZENARIEN

Elektronisches Schreiben als performatives Schreiben

Wolf-Dieter Ernst (München)
Der Beitrag stellt Überlegungen zur Kartografie vor, um an diesem Beispiel die Grenzen elektronischer Schreibszenarien zu diskutieren. So wie die Karte Modell der Welt ist, ist das Netz ein Modell für alles, was geschrieben wurde und wird. Wer sich in dieses Modell einschreibt, sollte es also wie eine Karte lesen und umschreiben können. Das wäre die Idee performativen Schreibens. Zur Orientierung innerhalb der rechnergestützten Schreibszene werden die gängigen literarischen Schreibverfahren in Erinnerung gerufen, welche die aktuelle Situation netzbasierten Schreibens charakterisieren und zugleich die analoge Vorgeschichte des elektronischen Schreibens beleuchten. Einige strategische Überlegungen zur Ökonomie und Formation eines performativen Schreibens beschließen als ‚Prolegomena für das elektronische Archiv und Journal der Performance und Medienkunst’ diesen Beitrag.

Populärkultur und Archiv. Social Networking als Archivpraxis

Meike Wagner (München)
Das Populäre und das Archiv schließen sich gegenseitig aus, wenn man ersteres mit den Kennzeichen Allgemeinverständlichkeit und Allgemeinzugänglichkeit bei gleichzeitiger affektiver Verankerung verbindet, und letzteres in erster Linie als Selektionspraxis und normative Wissensformation versteht. Es lässt sich hier ein Paradox aufzeigen: Das allgemein Verständliche zu archivieren hieße, nur das, was schon überall vorhanden ist zu verdoppeln. Das Populäre der Archiv-Ordnung zu unterwerfen, hieße jedoch auf der anderen Seite, es zu ‚enpopularisieren’, den Zugang zu selegieren. In der jüngsten Vergangenheit nun werden wir mit fluktuierenden Archivstrukturen (Wikis, YouTube) konfrontiert, die sich via Internet und Netzwerk-Konfigurationen als dynamisch veränderbares Bilderkonvolut und als selbstreflexive Medienpraxis präsentieren. Es wäre nun zu fragen, ob nicht gerade hier eine Archivpraxis bereitstünde, die vermag, Selektions- und Ordnungsprozesse als performative Praxis offen zu halten.

Archiv-Inszenierungen

Gabriele Blome (Linz/Köln)
Der Begriff des Archivs impliziert einen stark formalisierten Prozess zur Erfassung und Bewahrung von Artefakten und Dokumenten. Seit Jahren bemühen sich Archivare und Bibliothekare, Standards zu schaffen, die die Interoperabilität digitaler Archive und Sammlungen sicherstellen sollen. Dennoch unterschieden sich beispielsweise Online-Ressourcen zur Medienkunst stark in den Zugängen, die sie ihren Benutzern anbieten. Die jeweilige Online-Präsenz ist das Ergebnis eines vielschichtigen Zusammenspiels institutioneller Zielsetzungen, potentieller Benutzeranforderungen, zur Verfügung stehender Ressourcen sowie technischer Standards und Werkzeuge. Im digitalen Archiv werden die Dokumente im selben Medium vorgehalten, in dem sie auch beschrieben werden. Aus den zur Verfügung stehenden Metadaten lassen sich nicht nur Aussagen über das einzelne Artefakt, sondern auch über Struktur und Intentionen eines Archivs ableiten, die nicht explizit in die Datenbank hineingeschrieben wurden. Dieser Essay untersucht die Wissensstruktur von Online-Ressourcen zur Medienkunst und zeigt anhand von Interfaces zum Suchen und Browsen, inwiefern die Einblicke und Zugänge, die sie zu einem Datenbestand anbieten, zugleich auch Interpretationen implizieren. Gabriele Blome ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Ludwig Boltzmann-Instituts „Medien.Kunst.Forschung“ in Linz (A).